Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel haben
sollte; der schlug zornig den Knaben aufs Haupt, so
hart und ungefüge, daß ihm Haar und Haupt blutig
ward. Das Kind siel nieder und weinte heiße Thränen,
daß es der Truchseß gewagt hätte, es zu schlagen.
Das ersah ein auserwählter Held, genannt
Heinrich von Kempten, der war mit dem Kinde
aus Schwaben gekommen und dessen Zuchtmeister;
heftig verdroß es ihn, daß man das zarte Kind so
unbarmherzig geschlagen hatte, und fuhr den Truchsessen,
seiner Unzucht wegen, mit harten Worten an.
Der Truchseß sagte, daß er Kraft seines Amtes allen
ungefügen Schälken an Hofe mit seinem Stabe wehren
dürfe. Da nahm Herr Heinrich einen großen
Knüttel, und spaltete des Truchsessen Schädel, daß er
wie ein Ei zerbrach, und der Mann todt zu Boden
sank.
Unterdessen hatten die Herren Gotte gedient und gesungen, und kehrten zurück; da sah der Kaiser den blutigen Estrich, fragte und vernahm, was sich zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde auf der Stelle vorgefordert, und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: „daß mein Truchseß hier erschlagen liegt, schwöre ich an euch zu rächen; sam mir mein Bart!“ Als Heinrich von Kempten diesen theuren Eid ausgesprochen hörte und sah, daß es sein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell auf den Kaiser los, und begriff ihn bei dem langen rothen Barte. Damit schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die kaiserliche
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_177.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)