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unter ihrer schweren Last vorüberwanken, und nach abgelegter Bürde schnell zurück springen. Genau sah der Kaiser zu, und fühlte Bewunderung und Schmerz zu gleicher Zeit; doch hielt er Stillschweigen. Eginhart aber, welcher sich wohl bewußt war, diese That würde in die Länge nicht verborgen bleiben, rathschlagt mit sich, trat vor seinen Herrn, kniete nieder und bat um Abschied, weil ihm doch sein treuer Dienst nicht vergolten werde. Der König schwieg lange und verhehlte sein Gemüth; endlich versprach er dem Jüngling baldigen Bescheid zu sagen. Unterdessen setzte er ein Gericht an, berief seine ersten und vertrautesten Räthe, und offenbarte ihnen, daß das königliche Ansehen durch den Liebeshandel seiner Tochter Imma mit seinem Schreiber verletzt worden sey. Und während, alle erstaunten über die Nachricht des neuen und großen Vergehens, sagte er ihnen weiter, wie sich alles zugetragen und er es mit seinen eigenen Augen angesehen hätte, und er jetzo ihren Rath und ihr Urtheil heische. Die meisten aber, weise und darum mild von Gesinnung, waren der Meinung, daß der König selbst in dieser Sache entscheiden solle. Carl, nachdem er alle Seiten geprüft hatte, und den Finger der Vorsehung in dieser Begebenheit wohl erkannte, beschloß: Gnade für Recht ergehen zu lassen, und die Liebenden mit einander zu verehelichen. Alle lobten mit Freuden des Königs Sanftmuth, der den Schreiber vor sich forderte und also anredete: „schon lange hätte ich deine Dienste besser vergolten, wo, du mir

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)