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443.
Carl belagert Pavia.
Chron. noval. III. 14.


Desiderius floh mit Adelgis seinem Sohn und einer Tochter, in die Mauern von Pavia, worin ihn Carl lange belagerte. Desiderius war gut und demüthig; stets soll er, der Sage nach, um Mitternacht aufgestanden, und in die Kirchen zum Gebet gegangen seyn; die Thore der Kirchen öffneten sich ihm von selbst vor seinem bloßen Anblick. Während jener Belagerung schrieb nun die Königstochter einen Brief an König Carl, und schoß ihn auf einer Armbrust über den Fluß Tessino; in dem Brief stand: „wenn sie der König zum Ehegemahl nehmen wolle, werde sie ihm die Stadt und den Schatz ihres Vaters überliefern.“ Carl antwortete ihr so, daß die Liebe der Jungfrau nur noch stärker entzündet wurde. Sie stahl unter dem Haupt ihres schlafenden Vaters die Schlüssel der Stadt, und meldete dem Frankenkönig, daß er sich diese Nacht bereite in die Stadt zu rücken. Als sich das Heer den Thoren nahte, und einzog, sprang ihm die Jungfrau fröhlich entgegen, gerieth aber im Gedränge unter die Hufe der Rosse, und wurde, weil es finstre Nacht war, von diesen zertreten. Über dem Gewieher der Rosse erwachte Adelgis, zog sein Schwert, und tödtete viele Franken. Aber sein Vater verbot ihm, sich zu wehren, weil es Gottes Wille sey, die Stadt dem Feinde zu geben. Adelgis

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)