ihn zuerst erblickte, fragte: „warum er so mager und
bleich aussähe? Daran ist eure gottlose, unzüchtige
Hausfrau Schuld – antwortete Taland; die habe bald
gemerkt, wie er sie sorgsam gehütet, daß sie keine
Sünde begehen dürfen, und darum einen neuen
Thurm gebaut und ihn darin gefangen gehalten.“
Der König betrübte sich heftig über diese Nachricht,
und befahl im Zorn seinen Dienern, Hildegard zu ertränken.
Sie floh und barg sich heimlich bei einer
ihrer Freundinnen; aber sobald der König ihren Aufenthalt
erfuhr, verordnete er aufs Neue: sie in einen
Wald zu führen? da zu blenden, und so beider Augen
beraubt, Landes zu verweisen. Was geschah? Als sie
die Diener ausführten, begegnete ihnen ein Edelmann,
des Geschlechts von Freudenberg; den hatte gerade
Gräfin Adelgund ihre Schwester mit einer Botschaft
zu Hildegarden abgesandt. Als dieser die Gefahr und
Noth der Königin sah, entriß er sie den Henkersknechten
und gab ihnen seinen mit laufenden Hund. Dem
Hunde stachen sie die Augen aus, und hinterbrachten
sie dem König, zum Zeichen, daß sein Befehl geschehen
wäre. Hildegard aber, als sie mit Gottes Hülfe gerettet
war, zog in Begleitung einer Edelfrau, Namens
Rosina von Bodmer nach Rom, und übte die Heilkunst,
die sie ihr Lebtag gelernt und getrieben hatte,
so glücklich aus, daß sie bald in großen Ruhm kam.
Mittlerweile strafte Gott den gottlosen Taland mit
Blindheit und Aussatz. Niemand vermochte ihn zu
heilen, und endlich hörte er, zu Rom lebe eine berühmte
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)