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genauer erkundige, ihr des Königs Willen offenbare, und ihre Neigung erforsche. Aurelian gehorchte, machte sich auf nach Burgund, und wie er bald an die königliche Burg gelangt war, hieß er seine Gesellen, sich in einen nahen Wald bergen. Er selbst aber nahm das Kleid eines Bettlers an, begab sich nach dem Hof, und forschte, wie er mit seiner künftigen Herrin ein Gespräch halten könnte. Dazumal war Burgund schon christlich, Franken aber noch nicht. Crothild ging nun, weil es eben Sonntag war, in die Messe, ihr Gebet zu verrichten; und Aurelian stellte sich zu den übrigen Bettlern vor die Thüre hin, und wartete, bis sie herauskäme. Wie also die Messe vorüber war, trat die Jungfrau aus der Kirche, und gab, der Sitte nach, den Armen Almosen. Aurelian näherte sich und bettelte. Als ihm nun Crothild einen Goldgulden reichte, erfaßte er ihre bloße Hand unter dem Mantel hervor, und drückte sie an seinen Mund zum Kuß. Mit jungfräulicher Schaamröthe übergossen, ging sie in ihre Wohnung, sandte aber bald eine ihrer Frauen, daß sie ihr den vermeintlichen Bettler zuführte. Bei seiner Ankunft frug sie: „was fiel dir ein, Mann, daß du beim Empfahen des Almosens meine Hand vom Mantel entblößtest und küßtest? Aurelian mit Übergehung der Frage sagte Folgendes: „mein Herr, der Frankenkönig, hat von deiner Herrlichkeit gehört, und begehrt dich zur Gemahlin; hier ist sein Ring, sammt anderm Schmuck der Verlöbniß.“ Wie er sich aber wandte, den Sack zu langen, den er neben die

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)