Unter der weisen und kräftigen Herrschaft dieses
Königes stand das Reich der Longobarden in Glück
und Frieden; Theudelind, seine Gemahlin, war schön
und tugendsam. Es begab sich aber, daß ein Jüngling
aus dem königlichen Gesinde eine unüberwindliche
Liebe zu der Königin faßte, und doch, seiner niedern
Abkunft halben, keine Hoffnung nähren durfte, jemals
zur Befriedigung seiner Wünsche zu gelangen.
Er beschloß endlich das Äußerste zu wagen, und wenn
er sterben müsse. Weil er nun abgemerkt hatte, daß
der König nicht jede Nacht zu der Königin ging, so oft er
es aber that, in einen langen Mantel gehüllt, in der
einen Hand eine Kerze, in der andern ein Stäblein tragend,
vor das Schlafgemach Theudelindens trat, und
mit dem Stäblein ein oder zwei Mal vor die Thüre
schlug, worauf alsbald geöffnet, und ihm die Kerze
abgenommen wurde; so verschaffte er sich einen solchen
Mantel, wie er denn auch von Gestalt genau
dem Könige gleich kam.
Eines Nachts wickelte er sich in den Mantel, nahm Kerze und Stäblein zur Hand, und that zwei Schläge an die Thüre des Schlafzimmers; sogleich ward ihm von der Cämmerin aufgethan, die Kerze abgenommen, und der Diener gelangte wirklich in das Bett der Königin, die ihn für keinen andern, als ihren Gemahl hielt. Indessen fürchtete er, auf solches Glück möge schnelles Unheil folgen, machte sich daher bald aus den Armen der Königin, und gelangte auf
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_064.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)