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393.
Sage von Rodulf und Rumetrud.
Paulus Diac. Lib. I. cap. 20.

Als die Heruler und Longobarden ihren Krieg durch ein Friedensbündniß aufheben wollten, sandte König Rodulf seinen Bruder zu König Tato, daß er alles abschließen sollte. Nach beendigtem Geschäffte kehrte der Gesandte heim; da geschah es, daß er unterweges vorbeiziehen mußte, wo Rumetrud wohnte, des longobardischen Königs Tochter. Diese sah die Menge seines Gefolges, fragte: wer das wohl seyn möchte? und hörte, daß es der herulische Gesandte, Rodulfs leiblicher Bruder wäre, der in sein Land heimzöge. Da schickte sie einen zu ihm, und ließ ihn laden: „ob er kommen wolle, einen Becher Wein zu trinken?“ Ohne Arg folgte er der Ladung; aber die Jungfrau spottete seiner aus Übermuth, weil er kleinlicher Gestalt war, und sprach höhnende Reden. Er dagegen, übergossen von Scham und Zorn, stieß noch härtere Worte aus, also daß die Königstochter viel mehr beschämt wurde, und innerlich von Wuth entbrannte. Allein sie verstellte ihre Rache und versuchte mit freundlicher Miene ein angenehmes Gespräch zu führen, und lud den Jüngling zu sitzen ein. Den Sitz aber wies sie ihm da an, wo in der Wand eine Lucke war, darüber sie, gleichsam zu des Gastes Ehren, einen köstlichen Teppich hängen lassen; eigentlich aber wollte sie damit allen Argwohn entfernen. Nun hatte sie

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)