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Was unsere Sammlung jetzt noch enthalten kann, kündigt sich deutlich als bloße, oft ganz magre und bröckelhafte Ueberbleibsel von dem großen Schatze uralter deutscher Volksdichtung an; wie die ungleich zahlreichere und besser gepflegte Menge schriftlicher und mündlicher Ueberlieferungen des nordischen Stammes beweist. Die Unstätigkeit der meisten übrigen Völkerschaften, Kriege, theilweiser Untergang und Vermengung mit Fremden haben die Lieder und Sagen, der Vorzeit gefährdet und nach und nach untergraben. Wie viel aber muß ein Volk besessen haben, das immer noch solche Spuren und Trümmer aufzuweisen vermag! Die Anordnung derselben hat diesmal weniger zufällig seyn dürfen, sondern sie ist beides nach den Zeiten und Stämmen eingerichtet. Wenige Erzählungen gehen voran, die wir der Aufzeichnung der Römer danken, und andere Sammler vielleicht ausgelassen oder vermehrt haben würden. Inzwischen schienen uns keine anderen Züge sagenhaft, namentlich die Thaten des Arminius rein historisch. Von der Herrlichkeit gothischer Sage ist auf eine nie genug zu beklagende Weise das Meiste untergegangen; den Verlust der älteren und reicheren Quellen kann man nach dem Wenigen schätzen, was sich aus ihnen bei Jornandes noch übrig zeigt. Die Geschichte hat dem gothischen und den mit ihm verwandten Stämmen große Ungunst bewiesen;

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite VI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)