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man auch war. Nun hatte ein Dorfpfarrer ein schönes Pferd, das er dem Fischmeister zu Angerburg verkauft, aber noch nicht gewährt. Da wettete der Dieb, er wolle dieses auch stehlen und darnach aufhören; aber der Pfarrer erfuhr es und ließ es so verwahren und verschließen, daß er nicht dazu kommen konnte. Indeß ritt der Pfarrer mit dem Pferd einmal in die Stadt, da kam der Dieb auch in Bettlerskleidern mit zweien Krücken in die Herberge. Und als er merkt, daß der Pfarrer schier wollte auf seyn, macht er sich zuvor auf das Feld, wirft die Krücken auf einen Baum, legt sich darunter und erwartet den Pfarrer. Dieser kommt hernach, wohl bezecht, findet den Bettler da liegen und sagt: „Bruder, auf! auf! es kommt die Nacht herbei, geh zu Leuten, die Wölfe mögten dich zerreißen.“ Der Dieb antwortet: „ach! lieber Herr, es waren böse Buben eben hier, die haben mir meine Krücken auf den Baum geworfen, nun muß ich allhier verderben und sterben, denn ohne Krücken kann ich nirgend hinkommen.“ Der Pfarrer erbarmt sich seiner, springt vom Pferde, gibt es dem Schalk, am Zügel zu halten, zieht seinen Reitrock aus, legt ihn aufs Pferd und steigt dann auf den Baum, die Krücken abzugewinnen. Indessen springt der Dieb auf das Pferd, rennt davon, wirft die Bauerskleider weg und läßt den Pfarrer zu Fuß nach Hause gehen. Diesen Diebstahl erfährt der Pfleger, läßt den Dieb greifen und an den Galgen henken. Jedermann wußte nun von seiner Listigkeit und Behendigkeit zu erzählen.

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_468.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)