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sein Einkauf ihr behagen würde, antwortete er: „meine Frau, ich führe euch zu den köstlichsten Weizen, der auf dem ganzen Erdreich mag gefunden werden.“ „Weizen, sprach sie, so elendes Zeug bringst du mir?“ – „ich dachte das wäre so elend nicht, was uns unser tägliches und gesundes Brot gibt“

– „ich will dir zeigen, wie verächtlich mir deine Ladung ist; von welcher Seite ist das Schiff geladen?“

– „von der rechten Seite (Stuurboordszyde),“ sprach der Schiffmeister. – „Wohlan, so befehl ich dir, daß du zur Stunde die ganze Ladung auf der linken Seite (Bakboord) in die See schüttest; ich komme selbst hin und sehe, ob mein Befehl erfüllt worden.“

Der Seemann zauderte einen Befehl auszuführen, der sich so greulich an der Gabe Gottes versündigte und berief in Eile alle arme und dürftige Leute aus der Stadt an die Stelle, wo das Schiff lag, durch deren Anblick er seine Herrin zu bewegen hoffte. Sie kam und frug: „wie ist mein Befehl ausgerichtet?“. Da fiel eine Schaar von Armen auf die Knie vor ihr und baten, daß sie ihnen das Korn austheilen möchte, lieber als es vom Meer verschlingen zu lassen. Aber das Herz der Jungfrau war hart wie Stein und sie erneuerte den Befehl, die ganze Ladung schleunig über Bord zu werfen. Da bezwang sich der Schiffmeister länger nicht und rief laut: „nein, diese Bosheit kann Gott nicht ungerächt lassen, wenn es wahr ist, daß der Himmel das Gute lohnt und das Böse straft; ein Tag wird kommen, wo ihr gerne die edlen

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_359.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)