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186.
Der Wolf und der Tannenzapf.
Mündlich.


Zu Achen im Dom zeigt man an dem einen Flügel des ehernen Kirchenthors einen Spalt und das Bild eines Wolfs nebst einem Tannenzapfen, beide gleichfalls aus Erz gegossen. Die Sage davon lautet: vor Zeiten, als man diese Kirche zu bauen angefangen, habe man mitten im Werk einhalten müssen aus Mangel an Geld. Nachdem nun die Trümmer eine Weile so dagestanden, sey der Teufel zu den Rathsherrn gekommen, mit dem Erbieten, das benöthigte Geld zu geben unter der Bedingung, daß die erste Seele, die bei der Einweihung der Kirche in die Thüre hineinträte, sein eigen würde. Der Rath habe lang gezaudert, endlich doch eingewilligt und versprochen, den Inhalt der Bedingung geheim zu halten. Darauf sey mit dem Höllengeld das Gotteshaus herrlich ausgebaut, immittelst aber auch das Geheimniß ruchtbar geworden. Niemand wollte also die Kirche zuerst betreten und man sann endlich eine List aus. Man fing einen Wolf im Wald, trug ihn zum Hauptthor der Kirche und an dem Festtag, als die Glocken zu läuten anhuben, ließ man ihn los und hineinlaufen. Wie ein Sturmwind fuhr der Teufel hinterdrein und erwischte das, was ihm nach dem Vertrag gehörte. Als er aber merkte, daß er betrogen war und man ihm eine bloße Wolfsseele geliefert hatte, erzürnte er

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_305.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)