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sie gab ihm wenig Gehör. Da sann er endlich auf schlechte Mittel und als ihr Mann einmal an einen weit entlegenen Ort verreist war, raubte er ihr mit Gewalt, was sie ihm freiwillig versagte. Sie mußte das Unrecht verschweigen, so lang ihr Mann abwesend war, bei seiner Rückkehr aber eröffnete sie es ihm mit großem Schmerz und wehmüthigen Gebärden. Der Edelmann glaubte, dieser Schandflecken könne nur mit dem Blute des Thäters abgewaschen werden, und da er die Freiheit hatte, wie ihm beliebte, in des Grafen Gemach zu gehen, so nahm er die Zeit wahr, wo dieser noch mit seiner Gemahlin zur Ruhe lag, trat hinein, hielt ihm die begangene That mit harten Worten vor und als er merkte, daß jener sich aufmachen und zur Gegenwehr anschicken mögte, faste er sein Schwert und erstach ihn im Bette an der Seite der Gräfin. Diese entrüstete sich aufs allerheftigste, schalt den Thäter gewaltig und da sie gerade schwangeres Leibes war, sprach sie dräuend: „derjenige, den ich unter dem Gürtel trage, soll diesen Mord an dir und den Deinigen rächen, daß die ganze Nachwelt daran ein Beispiel nehmen wird.“ Der Edelmann, als er die Worte hörte, kehrte wieder um und durchstach die Gräfin wie ihren Herrn.

Graf Hermann von Winzenburg war der letzte seines Stammes und demnach mit seinem und der schwangern Gräfin Tod das Land ohne Herrn. Da trat Hütchen in selbiger Morgenstunde, in welcher die That geschehen war, vor das Bett des schlafenden Bischofs

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)