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70.
Das Streichmaß, der Ring und Becher.
Memoires du marechal de Bassompierre († 1646.) Cologne 1666. Vol. I. p. 4–6.

Im Herzogthum Lothringen, als es noch lange zu Deutschland gehörte, herrschte zwischen Nanzig und Luenstadt (Luneville) der letzte Graf von Orgewiler. Er hatte keine Schwertmagen mehr und vertheilte auf dem Todbette seine Länder unter seine drei Töchter und Schwiegersöhne. Die älteste Tochter hatte Simons von Bestein, die mittlere Herr von Crouy und die jüngste ein deutscher Rheingraf geheurathet. Außer den Herrschaften theilte er noch seinen Erben drei Geschenke aus, der ältesten Tochter einen Streichlöffel (Streichmaas), der mittleren einen Trinkbecher und der dritten einen Kleinodring, mit der Vermahnung, daß sie und ihre Nachkömmlinge diese Stücke sorgfältig aufheben sollten, so würden ihre Häuser beständig glücklich seyn.

Die Sage, wie der Graf diese Stücke bekommen, erzählt der Marschall von Bassompierre (Bassenstein), Urenkel des Simons, selbst: der Graf war vermählt, hatte aber noch eine geheime Liebschaft mit einer wunderbaren schönen Frau, die wöchentlich alle Mondtage in ein Sommerhaus des Gartens zu ihm kam. Lange blieb dieser Handel seiner Gemahlin verborgen, wann er sich entfernte, bildete er ihr ein, daß er des Nachts im Wald auf den Anstand ginge. Aber nach ein Paar

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_125.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)