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45.
Der einkehrende Zwerg.
Volkssage des berner Oberlands, s. Wyß Volkssagen Bern 1815. S. 62–79. vgl. 315. und Alpenrosen 1813. S. 210–227.

Vom Dörflein Ralligen am Thunersee und von Schillingsdorf, einem durch Bergfall verschütteten Ort des Grindelwaldthals, vermuthlich von andern Orten mehr, wird erzählt: bei Sturm und Regen kam ein wandernder Zwerg durch das Dörflein, ging von Hütte zu Hütte und pochte regentriefend an die Thüren der Leute, aber niemand erbarmte sich und wollte ihm öffnen, ja sie höhnten ihn noch aus dazu. Am Rand des Dorfes wohnten zwei fromme Armen, Mann und Frau, da schlich das Zwerglein müd und matt an seinem Stab einher, klopfte dreimal bescheidentlich ans Fensterchen, der alte Hirt that ihm sogleich auf und bot gern und willig dem Gaste das wenige dar, was sein Haus vermochte. Die alte Frau trug Brot auf, Milch und Käs, ein Paar Tropfen Milch schlürfte das Zwerglein und aß Brosamen von Brot und Käse. „Ich bins eben nicht gewohnt, sprach es, so derbe Kost zu speisen, aber ich dank euch von Herzen und Gott lohns; nun ich geruht habe, will ich meinen Fuß weiter setzen.“ „Ei bewahre, rief die Frau, in der Nacht in das Wetter hinaus, nehmt doch mit einem Bettlein vorlieb.“ Aber das Zwerglein schüttelte und lächelte: „droben auf der Fluh hab ich allerhand zu schaffen und darf nicht länger ausbleiben, morgen sollt ihr mein schon gedenken.“ Damit nahms Abschied und die Alten legten sich zur Ruhe. Der anbrechende Tag aber weckte

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_093.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)