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in den Keller und füllte von neuem und das geschah etlichemal ein ganzes Jahr durch; dieser Trunk, der einer kaiserlichen Tafel wohl gestanden hätte, kostete ihn keinen Heller. Einmal aber besuchten ihn drei Nachbaren, denen er von seinem Gnadentrunk zubrachte, und die ihn so trefflich fanden, daß sie Verdacht schöpften und argwohnten, er sey auf unrechtem Wege dazu gekommen. Weil sie ihm ohnedeß feind waren, gingen sie aufs Rathhaus und verklagten ihn, der Bürger erschien und verhehlte nicht, wie er zu dem Wein gelangt war, obgleich er innerlich dachte, daß er nun den letzten geholt haben würde. Der Rath ließ von dem Wein vor Gericht bringen und befand einstimmig, daß dergleichen im Lande nirgends anzutreffen wäre. Also mußten sie zwar den Mann nach abgelegtem Eid heim entlassen, gaben ihm aber auf, mit seinen Flaschen nochmals den vorigen Weg zu unternehmen. Er machte sich auch dahin, aber weder Treppe noch Keller war dort zu spüren und er empfing unsichtbare Schläge, die ihn betäubt und halbtodt zu Boden strecktn. Als er so lange Zeit lag, bedäuchte ihn den vorigen Keller, aber fern in einer Tiefe, zu erblicken, die drei Männer saßen wieder da und kreideten still und schweigend bei einer hellen Lampe auf dem Tisch, als hätten sie eine wichtige Rechnung zu schließen; zuletzt wischten sie alle Ziffern aus und zogen ein Creuz über die ganze Tafel, welche sie hernach bei Seite stellten. Einer stand auf, öffnete drei Schlösser an einer eisernen Thür und man hörte Geld klingen. Auf

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)