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sich an ihre Vernunft, als wäre diese ihr unumschränkter Gebieter. Es ist ganz in der Ordnung, dass unsere Gegner, welche die Stirn haben zu erklären, wir sind unvernünftig und wollen es bleiben, den praktischen Kampf, den Widerstand gegen die Vernunft durch unvernünftige Massregeln eröffnen. Dieser Zustand beweist nur die Uebermacht der Philosophie, dies Geschrei gegen sie ist schon der Sieg. Voltaire sagt einmal: Vous, petits hommes, revêtus d’un petit emploi, qui vous donne une petite autorité dans un petit pays, vous criez contre la philosophie? Wir leben für Deutschland in dem Zeitalter Rousseau’s und Voltaire’s und „diejenigen unter uns, welche jung genug sind, um die Früchte unserer Arbeit zu erleben, werden eine grosse Revolution und eine Zeit sehen, in der es der Mühe lohnt geboren zu sein.“ Wir dürfen auch diese Worte Voltaire’s wiederholen ohne zu befürchten, dass sie das zweite Mal weniger, als das erste durch die Geschichte bestätigt würden.

Jetzt sind die Franzosen noch unsere Lehrer. Sie haben in politischer Hinsicht einen Vorsprung von Jahrhunderten. Und was folgt alles daraus! Diese gewaltige Litteratur, diese lebendige Poesie und bildende Kunst, diese Durchbildung und Vergeistigung des ganzen Volkes, lauter Verhältnisse, die wir nur von ferne verstehn! Wir müssen nachholen, wir müssen unserm metaphysishen Hochmuthe, der die Welt nicht warm macht, die Ruthe geben, wir müssen lernen, wir müssen Tag und Nacht arbeiten, um es dahin zu bringen, wie Menschen mit Menschen zu leben, frei zu sein und frei zu machen - wir müssen - ich komme immer darauf zurück, unsere Zeit mit unseren Gedanken in Besitz nehmen. Dem Denker und Dichter ist es vergönnt, die Zukunft vorweg zu nehmen und eine neue Welt der Freiheit und Schönheit mitten in den Wust des Untergangs und des Moders, der uns umgiebt, hineinzubauen.

Und Angesichts alles dessen, eingeweiht in das Geheimniss der ewigen Mächte, welche die Zeit aus ihrem Schoose neu gebären, wollen Sie verzweifeln? Verzweifeln Sie an Deutschland, so verzweifeln Sie nicht nur an sich selbst, Sie geben die Macht der Wahrheit auf, der Sie sich gewidmet. Wenig Menschen sind edel genug, sich ganz und ohne Rückhalt dem Wehen und Wirken der befreienden Wahrheit hinzugeben, wenige vermögen diese Bewegung des Herzens und des Kopfes ihren Zeitgenossen mitzutheilen; wem es aber einmal gelang der Mund der Freiheit zu werden und die Welt mit den Silbertönen ihrer Stimme zu fesseln,

Empfohlene Zitierweise:
Ein Briefwechsel von 1843. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)