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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

welche ihnen zu hoch hängen, für sauer erklären. Die schlaueren erklären sie für unberührbar und heilig. „Wir sind alle Sünder von Jugend auf“, wie gern sagt das ein jeder Fuchs. Das geistige Wesen in uns fühlt sich hoch erhoben über alles Irdische, je tiefer es auch die eigene Seele unter sich im Staube sieht.

Welcher Seelenforscher zerlegte je unsern Knoten von Dünkel und Demut, Unantastbarkeit und Armesündergefühl.

Otto Weininger war viel zu selbstbewußt. Sein geistiger Hochmut wuchs aus einer Überspannung sittlicher Ideale, als deren gottgesandten Künder und Jünger er sich fühlte. War das Gefäß auch nur aus schlechtem Ton, es enthielt ja doch das Öl, ohne welches künftig kein König konnte gesalbt werden.

So hatte er sich verstiegen. Um nicht zurück zu müssen, zerbrach er seine Form.

Blühte nirgend mehr Wohltat?

Er floh noch einmal an das große Herz Beethoven. Die „Eroika“, der prometheische Gesang vom Lose des Lichtbringers auf Erden, deutete ihm, was in Worten nie zu deuten wäre: „Wer Gott schaut, stirbt.“ . . .

Wir denken an ihn, als an Goethes Euphorion, der kaum geboren und zum Heros bestimmt, jugendkühn auf die Felsen stieg und schön zerschmetterte beim ihm versagten Flug. Und auch um ihn fühlen wir die Worte klagen, die der Dichter an der Bahre Nietzsches sang:

„Du hast das Nächste in dir selbst getötet,
Um neu begehrend dann ihm nachzuzittern
Und aufzuschrein im Schmerz der Einsamkeit.
Der kam zu spät, der flehend zu dir sagte:
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/99&oldid=- (Version vom 29.12.2019)