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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

das Schlechthin-Seiende (so sagt Plato) kann nicht unendlich sein, weil das Unendliche nur ein Unvollkommenes ist. Wäre die Substanz des Lebens unendlich, dann könnte sie weder Gestalt noch Schönheit haben. „Alles Schöne zeigt das Rätsel der Grenze, denn in allen Lebenstiefen blüht Gestalt.“

Diese Lehre vom schönen Leben als einer endlichen Gestalt ist das gerade Gegenstück zu jener Erhabenheitslehre Spinozas, welche verbietet: der Substanz des Lebens als dem schlechthin Seienden einen Namen zu geben, weil die Anzahl der „Gott“ zukommenden Attribute nicht begrenzbar sei — „denn jedes Begrenzen wäre ein Verneinen“.

Und doch ist Plato, der das Göttliche nur in Gestalten zu schauen vermag, der Zerlöser der griechischen Form!

Und doch ist Spinoza, welcher Gott nur erfassen konnte als unpersönliches Sein jenseits Raum und Zeit, der Verkäfiger der Natur in das Zwangsbett mathematischer Form!

Sollte es nun Zufall sein, daß die Auflösung des Kosmos in das unpersönliche Element zugunsten der Absolutheit mathematischer Normen vorwiegend die Tat von Logikern gewesen ist, die aus jüdischem Blute stammten?

Die durch das Wachstum der nichteuklidischen Geometrien nötig gewordenen neuen Wissensgebiete, die Anzahlen-, die Mengen-, die reine Mannigfaltigkeitslehre, das Auflösen der mit dem Unendlichen auf jedem Wissensgebiete verknüpften Paradoxien und die Relativierung auch der letzten Konkretheit und Anschaulichkeit zugunsten des absoluten Kalküls, das war das Werk eigentlich

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/86&oldid=- (Version vom 29.12.2019)