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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

will den andern übertreffen. Man hat nie gesehen, daß unfreie Menschen einander lieben. Sie können sich vergesellen zu Tat oder Untat. Lieben können sie nicht.

In der Einsamkeit der Engadiner Berge stieg oft das Bild des andern vor ihm auf. Der war auch diese Wege gegangen. Dies war die südliche See, die ihn ins Namenlose lockte, dies der Horizont, der ihm Form und Grenze gab, dies der Mistral, der ihm von Freiheit sang. Der war hier auch einsam, schritt auch in den Untergang. Aber es war andere Einsamkeit und anderer Untergang. Der wurde neugeboren. In die Geschichte seines Volkes. Schon rankte um ihn Legende. Schon wuchs die Sage um seine Gestalt. Schon wob um ihn der Mythos. Was daran war noch menschlich?

Wen sein Volk, sein Zeitalter erkoren hat, der wird zum Gott. Und sei er als sterblicher Mensch klein gewesen oder krank, bös oder kalt, und sei er gewesen wie immer. Das Sterbliche eines Geschichtlichgewordenen ist gar nicht mehr nachprüfbar.

Aber der Jude? Der kann (es geschah einmal an Jesus und in matterer Wiederholung dann noch einmal an Spinoza), - der kann Repräsentant werden für den Geist, für das Allmenschliche, Unpersönliche, eine kalte Apotheose. Er kann zum Trotzki werden, nicht zum Lenin, nicht Blut und Erde der Heimat.

Jedesmal, wo dem deutschen Volke ein Genius erschien, Goethe oder Schopenhauer, Hebbel oder Wagner, Hölderlin oder Stefan George, da hatte er seine Leibschutzgarde bedeutender Juden, so wie nach Homer, immer wenn ein Held geboren wird, auch ein Sänger zur Welt kommt, der ihn verklärt. Juden haben stets als

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/76&oldid=- (Version vom 5.7.2016)