Seite:Der jüdische Selbsthaß.pdf/70

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

Nietzsche Abschriften anfertigen, aber wurde ohne Schuld der Keil, der den schönen Bund vorzeitig auseinandertrieb ...

Sie bummelten durch die alten Straßen Neapels, fuhren nach Capri hinüber und sahen an schönen Sommerabenden die Burschen und Mädchen von Sorrent die Tarantella tanzen. Aber zwischen sie, die ein gemeinsames Werk zu fördern hofften, war ein Fremdes getreten. Beide warben um das junge Mädchen, indem jeder sie in sein Gedankenreich einführte und waren doch noch nicht klar, daß sie schon im Quellpunkte des Lebens zu Nebenbuhlern geworden waren ...

Rée liebte und wurde wiedergeliebt, aber in der ihn erschreckenden Stunde, als der Freund von dem Wunsche sprach, sich an dem Kinde die Lebensgefährtin zu erziehen, da wußte Rée sogleich, welches Opfer er stumm zu bringen habe. Er wandelte sich in den Fürsprecher Nietzsches und wurde, wenn auch in Selbstqual, zu Nietzsches Freiwerber.

„Die Gefährtin Friedrich Nietzsches zu werden“, so redete er zu der Siebzehnjährigen, „das ist mehr als zu einem Königsthrone berufen sein.“ Aber ihre Antwort lautete: „Er ist mir der Ehrwürdigste, aber als Mann kann ich ihn nicht lieben.“

Für ein brutaleres Selbstbewußtsein wäre somit der Weg frei gewesen, aber für Paul Rée war er nun erst völlig gesperrt. Hätte er seinen eigenen Gefühlen nachgegeben, die in hundert rührenden Bewährungen sich kundtaten, so wäre es ihm als Verrat an der Freundschaft erschienen, so als wenn er auf des Freundes Niederlage sein eigenes Glück hätte gründen mögen. Wo

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/70&oldid=- (Version vom 5.7.2016)