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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

menschlicher Erdbeherrschung und Technik bringt ein natürliches Wirkteil und Wunder zum Verschwinden. -

So verflackert das herrlichste Volk, für welches die unaufhörliche Begleitvorstellung „Ich bin Jude“ nicht sein beseligendes Glücksschicksal, sondern sein treibender Stachel und schließlich gar seine lebenmindernde Zwangsvorstellung geworden ist.

Wir wollen diesen Vorgang kennenlernen am Falle Paul Rée. Wir wissen freilich wenig von dem persönlichen Verlauf des vereisenden Prozesses, denn der Kranke versuchte eine Gefühlsballung zu überwinden, wie ein Organismus einen Fremdkörper überwindet, indem er ihn verkapselt und verhärtet und dann als tote Insel liegen läßt inmitten gesunden Gewebes.

Nachdem sie im August 1876 die Festspiele in Bayreuth gemeinsam besucht hatten, machte sich bei Nietzsche, der seit 1871 erkrankt war, ein wachsendes Augenübel bemerkbar. Die Ärzte in Basel rieten zu einjährigem Urlaub und Aufenthalt im Süden. Man beschloß, den Winter 1876 gemeinsam in Sorrent zu verleben. Ein junger Schüler Nietzsches, der an Schwindsucht litt, schloß sich ihnen an. Malvida v. Meysenbug‚ die mütterliche Freundin, übernahm in der Villa Rubinacci die hausfrauliche Fürsorge. Richard Wagner und Frau Cosima - damals dem „Parsifal“ zugewendet - beschlossen ebenfalls die Geburtsstadt Tassos aufzusuchen.

Da für Nietzsches kranke Augen eine Hilfe zum Abschreiben und Diktieren nötig war, so nahm man ein gutempfohlenes junges Mädchen mit, Tochter eines russischen Generals. Diese junge Lou Salomé sollte für

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/69&oldid=- (Version vom 5.7.2016)