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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthaß

kundgibt, aber es ist mehr der Stolz des Erkennenden, was sich darin ausspricht ... Rée liebte das Gespräch, er wurde aber leicht stutzig, er ließ dann seine tiefliegenden lebhaften Augen wie zweifelnd hin und her gehn und half sich aus der Verlegenheit gern mit einer scherzhaften Wendung: „Die Kunst der Unterhaltung ist schwierig. Wenn man spricht, so langweilt man den andern, wenn man zuhört sich selbst.“ Auf den Straßen einer katholischen Stadt - wir waren eine Zeitlang in Innsbruck zusammen - wurde er für einen Priester gehalten. Die Kinder drängten sich an ihn, ihm die Hand zu küssen. Sein großes bartloses ernstes Antlitz, der lange schwarze Rock, sein langsamer Gang konnte diese Meinung wohl aufkommen lassen. Die tiefe innere Vereinsamung, die düstere Ansicht des Lebens, die Härte eines männlichen Individualismus, hatte er mit manchem Priester gemein. An Schopenhauer erinnerte er in einigen Zügen.“

Paul Rée war am 21. November 1849 als der zweite Sohn eines reichen Gutsbesitzers auf dem Landgute Bartelshagen in Pommern geboren. Die Familie des Vaters stammte aus Hamburg, die Mutter Jenny Jonas aus Schwerin. Seinen ersten Unterricht erhielt er durch Hauslehrer. Dann siedelte die Familie um der Kinder willen nach Schwerin über, und mit einigen Unterbrechungen - in Berlin und in einer Privatschule in Ludwigslust - besuchte Rée das Gymnasium Fridericianum in Schwerin, machte dort Michaelis 1868 die Reifeprüfung und ging nach Leipzig, um auf den Wunsch seines Vaters Jura zu studieren. 1870 genügte er seiner Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger, aber während dieser

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthaß. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/57&oldid=- (Version vom 5.7.2016)