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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

„Quo semel est imbuta recens
servabit odorem testa diu.“
(Womit dereinst die Schale gefüllt war,
davon wird sie den Duft lange bewahren.)


Er habe oft an diesen Vers des Horaz gedacht, und nun im Alter sei es ihm ergangen wie dem Dichter, bei dem wir damals gemeinsam zu Gaste waren. Auch Theodor Fontane habe sich als Sänger Preußens und des Preußenruhmes gefühlt. Aber zu seinem 75. Geburtstage habe nicht ein Einziger von denen, die er besungen hatte, ihm gedankt. - Und der böse kleine Marquis deklamierte, halb mit pathetischem Ernst, halb belustigt und als ein Schelm:

„Aber die zum Jubeltag kamen,
Das waren doch sehr, sehr andere Namen.
Meyers kommen in Bataillonen,
Auch Pollaks und die noch östlicher wohnen.
Jedem bin ich was gewesen,
Alle haben sie mich gelesen,
Alle kannten mich lange schon.
Und das ist die Hauptsach ... Kommen Sie Cohn.“

Als wir gegen Abend unter den Bäumen des Gartens schieden, da hatte ich das gute Gefühl, eine gallige Last los zu sein, die mich durchs ganze Leben gedrückt hatte. Nun hätte ich ihm gern gute Gesinnung gezeigt. Aber wie? Ich malte ein Bild seiner Persönlichkeit, wie sie nach so vielen Jahren mir erschienen war. Überlegen, weise und verklärt. Eine Zeitung im Ausland brachte die kleine Skizze. Ich schickte sie ihm. Es hieß, er sei leidend. Er war nach Italien gereist. Einige Wochen vergingen,

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/206&oldid=- (Version vom 5.7.2016)