Seite:Der jüdische Selbsthaß.pdf/200

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

Presse und die Welt der öffentlich Meinenden zeigte sich so teilnahmlos, daß die Verhandlung gegen den Mörder oder besser gesagt gegen zwei gedungene Ausführer des Mordplans (denn die eigentlichen Anstifter hatten längst Zeit gefunden, sich in Sicherheit zu bringen und die Spuren des Komplotts zu verwischen) für den Verletzten zum Dornenwege wurde. Statt als Ankläger, stand er erstaunlicherweise als Angeklagter vor seiner Nation.

Man billigte seinen Mördern den guten Glauben zu, einen Schädling vernichten zu müssen. Man karrte alles zusammen, was irgendwie geeignet erschien, die feige Tat als edelbegründet erscheinen zu lassen. Man ließ den abscheulich Verunrechteten fühlen, daß die Republik seinen Tod gar nicht ungern gesehen hätte.

In den Geschichtsbüchern der Zeit figurierte er als ein von Bismarck gelegentlich zu Schreibdienst verwendeter „Isidor Witkowsky aus Galizien“. Den Namen Isidor hatten böswillige Schreiber aus den Fingern gesogen. Er hatte nie so geheißen, war nie aus Galizien eingewandert. Aber es wäre vergeblich gewesen, solche Fälschungen richtigstellen zu wollen.

Vor dem plötzlichen Auflodern dieses gegen seine Person gekehrten Blutrausches stand Harden wie ein Kind. Er begriff nicht, wie das geschehen konnte. Denn dieser in weiten Kreisen des Volkes schwelende Haß drängte ihn auf die Seite, die er abgelehnt hatte und auf der er nie heimisch gewesen war.

Durchblättert man politische Zeitungen und Zeitschriften Frankreichs, Englands, Amerikas, so wird man durch Jahrzehnte häufig dem Namen Harden begegnen.

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/200&oldid=- (Version vom 5.7.2016)