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ohne mir,“ rief Thilde gereizt. „Ich bin mit „ohne mir“ alt geworden, und man soll hinter sechzig seine Lebensweise nicht ändern.“

Dann brachte sie den Ulster …

„Da – bitt’ schön … Das Ding wiegt ja rein n’ Zentner.“

„Ja,“ meinte Harst harmlos, „ich habe mir auch ein neues Futter eingesetzt … Zeigen Sie es mal Mama …“

Als unsere Dicke uns die Innenseite vorwies, erblickten wir, mit großen Sicherheitsnadeln angesteckt und sorgfältig umgeschlagen, als Futter einen verwaschenen Gobelin, eine Szene aus Shakespeares Richard III., – die berühmte Szene nach der Schlacht mit dem Schreckensruf des Unholds: „Ein Königreich für ein Pferd!“

Wir waren sprachlos.

Nur der Gobelindieb war es nicht. Er hatte sein viertes und letztes Stück Kuchen in Arbeit und meinte ohne jede Spur von Gewissensbissen: „Das Wertstück wird in unserem Stahlschrank zweifellos am sichersten aufgehoben sein. Ich fand es, als wir, Akt fünf, bei Gustav Pagel waren … Es lag dort, wo niemand es gesucht hätte, – und man sucht nie an Orten, die sofort ins Auge springen, die sozusagen offenherzig sind: In Pagels noch zerwühltem Bett zusammengelegt unter dem Kopfkissen. Ihr anderen bemühtet euch im Stall, im Mistbeet, auf dem kleinen Boden. Ich bemühte nur mein Hirn, und das raunte mir zu: „Es ist alles Schwindel …!“ – Wie weit alles Schwindel ist, wird sich noch zeigen.“

Ich blickte Harst ein wenig mißtrauisch an. Seine Angaben genügten mir nicht recht.

„Hm – trägst du immer ein Päckchen großer Sicherheitsnadeln mit dir herum?!“ bemerkte ich stark ironisch, während Frau Harst den Gobelin näher prüfte.

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Der alte Gobelin. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1929, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_alte_Gobelin.pdf/31&oldid=- (Version vom 31.7.2018)