Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Erzählung beendet hatte. Und plötzlich drängte sich mir unwillkürlich ein Gedanke auf. „Was für ein Landsmann mag der Anführer der Piraten wohl gewesen sein?“ fragte ich. „Vielleicht ein Franzose?“

„Das ist möglich; ich glaube sogar, er war ein Franzose, obgleich er seine Banditen auf spanisch anredete,“ antwortete Walker mit einigem Erstaunen. „Wie kommen Sie zu der Frage? Ist Ihnen etwa ein Mann, auf den meine Beschreibung paßt, schon einmal vor den Bug gekommen?“

Ich wich der Beantwortung dieser Frage aus. Walkers Beschreibung des Piratenhäuptlings hatte mich lebhaft an Monsieur Guerlin erinnert, an den ersten Leutnant der französischen Kriegsbrigg „Vampyr“, und dies veranlaßte mich zu der Frage nach der Nationalität des Mannes, der die Ophelialeute so unmenschlich behandelt hatte. Damit soll nicht gesagt sein, daß ich auch nur einen Augenblick den Monsieur Guerlin ernstlich mit der scheußlichen Gewalttat, der die Ophelia und ihre Besatzung zum Opfer gefallen war, in Verbindung gebracht hätte. Wir alle, Deutsche wie Engländer, hegten damals keine große Freundschaft für die Franzosen, aber auf den Gedanken, daß ein französisches Kriegsschiff sich einer solchen Untat schuldig gemacht haben könnte, wäre niemand gekommen.

Trotzdem wollte mir das Bild des ersten Leutnants des „Vampyr“ in unbestimmter unerklärlicher Verbindung mit dem Untergang der „Ophelia“ nicht aus dem Sinn; auch konnte ich mich nicht enthalten, Walker das Äußere und das ganze Wesen Guerlins so genau als möglich zu beschreiben, und – seltsam – ich war keineswegs verwundert, als er mir versicherte, daß dies das getreue Bild des Erzpiraten sei, der ihn und seine Mannschaft den Flammen überliefert hatte. Im Gegenteil, ich wäre enttäuscht gewesen, hätte er sich anders geäußert.

Bei dem Besuch des Franzosen an Bord des „Wolf“ war mir dessen Benehmen von Anfang an aufgefallen und bald auch verdächtig erschienen. Jetzt begann ich, in Erwägung zu ziehen, ob ich mich Mr. Austin mitteilen sollte, aber nach langem Überlegen gab ich diese

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)