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der Bramrahe aus etwas sehen könnte, woraus die mich so beunruhigende Wahrnehmung zu erklären wäre.

Ich sprang in die Großwant und rannte so eilig nach oben, als hinge mein Leben davon ab. Das stehende Gut war während des Tages frisch geteert worden, darauf aber achtete ich nicht, und es währte keine Minute, da hatte ich den Großbramsaling und von dort aus die Bramrahe erreicht. Wie ich vorausgesehen hatte, befand ich mich hier oberhalb der Nebelschicht.

Das erste was ich in dem schwachen Schein der Mondsichel sah, waren die beiden Toppen der Brigg, dwars ab von unserm Steuerbordbug, und nicht voraus, wie sie hätten peilen müssen. Das war seltsam, aber noch seltsamer erschien es mir, daß sie uns ganz auffällig nahe waren. Sie befanden sich gerade in einer Linie mit den Wipfeln einer Baumgruppe, die wie eine Insel aus dem silbrigen Nebelmeer aufragten. Auf einmal bemerkte ich, daß die Toppen nicht stillstanden, daß sie langsam an den Bäumen vorüber und dem Flusse zuglitten.

Die Brigg war im Treiben!

Ich lauschte fünf Minuten lang auf irgend einen Laut, und während dieser Zeit war sie uns beinahe um eine Kabellänge nähergekommen. Noch eine Minute, dann war sie nur noch ein paar Schiffslängen von uns entfernt.

Durch Zufall konnte sie nicht ins Treiben gekommen sein. Hatten die Franzosen beabsichtigt, ihren Liegeplatz zu wechseln, warum taten sie dies unter dem Deckmantel des Nebels und ohne jegliches Geräusch? Von einem Ankerhieven war nichts zu hören gewesen, ebensowenig von einem Hantieren mit Warptrossen; sie mußten also ihr Kabel geschlippt haben, um sich von der Strömung sachte nach See treiben zu lassen.

Aber wo war Leutnant Austin während dieses Davonschleichens? Wußte er darum? Und wenn mein Verdacht begründet war – warum hatten sie die Offiziere des „Wolf“ zum Essen eingeladen? Sollte das nur eine Augenverblendung sein, um den Anschein aufrecht zu erhalten, daß der „Vampyr“ ein französisches Kriegsschiff sei? Oder

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Friedrich Meister: Der Vampyr. Verlag Abel und Müller, Leipzig 1911, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Vampyr.pdf/139&oldid=- (Version vom 31.7.2018)