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Einen wahrhaft wohlthuenden Eindruck macht dagegen wiederum das sanfte, fast kindlich reine und kindlich vertrauensvolle Antlitz des jungen Geistlichen im zweitletzten Bilde, Blatt 11. Er hat die schwarze Welt, also die mit schwarzen Lastern verdunkelte Welt, mit ihren Herrlichkeiten und sinnlichen Vergnügungen verlassen, um dem Herrn allein zu dienen. Schwarzer Undank ist der Welt Lohn; alle seine Hoffnung steht auf Gott gerichtet. Bild und Wort lassen fast vermuthen, daß eine bittere Herzenstäuschung den Diener Gottes erfüllt hat. Aber dieser wird ihn segnen; eben hat er seine letzte Todtenmesse gelesen und Niemand geringerer als der Tod selbst ist es, der dienend ihm das Meßgewand ablegen hilft.

Wir kommen zum letzten Bild, Blatt 12. Heiter und zufrieden sitzt der Landmann im Schatten eines Baumes und betrachtet die Schneide seines Messers, neben ihm auf dem Boden eine Logel Wein und darauf ein Imbiß, Brod oder Käse. Was er wohl für tiefsinnige Betrachtungen mit seinem Messer anstellen mag? Vielleicht denkt er auch an gar nichts von der Welt, höchstens an das Neun-Uhr-Brod, während dessen ihm gegenüber der Tod die zur Seite gelegte Schaufel ergreift, um hilfreich dem Geplagten die Arbeit abzunehmen, die ihm sonst doch Niemand abnehmen wird.

Wir sehen, es ist bei allen diesen Bildern von irgend einer Andeutung des Tanzes auch keine Spur vorhanden, vielmehr tritt er in prosaischer Weise lediglich als Begleiter des Menschen auf, aber immer in einer dem Sterbenden verwandten Beziehung: beim Kind als Kinderfrau, beim Schüler als Lehrer u. s. w.

„Todtentanz“ ist somit nicht eigentlich die zutreffende Benennung für unseren Bilder-Cyclus, aber die stereotypische Bezeichnung für derartige Kunstschöpfungen ist immerhin die allgemein verständlichste geblieben und so wollen auch wir die unsrige als solche weiter beibehalten.

Als Schlußstein des Ganzen verwendet der Künstler das jüngste Gericht; auch dieses ist neu [WS 1] gegenüber den älteren Todtentänzen – natürlich nur die Verwendung; denn die Darstellung des jüngsten Gerichts mit Christus auf dem Regenbogen – die s. g. maiestas domini – ist viel älter. Auffallend an eben dieser Darstellung ist aber wieder hier, daß wir auf der Seite der Verdammten


  1. Handschriftliche Bemerkung am Rand: falsch (Basel)
Empfohlene Zitierweise:
Adolf Poinsignon: Der Todtentanz. Herder'sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg 1891, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todtentanz_St._Michael_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)