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überhaupt nicht und für meine Freundschaft und Liebe nun schon ganz gewiß nicht. Da hast du mein Programm. Unser ganzer Gesellschaftszustand, der sich wunder wie hoch dünkt, ist mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von dem du doch so viel hältst, hat sich ganz in diesem Sinne gegen mich ausgesprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die Heidenzeit, die wir jetzt so verständnislos bemängeln! Und selbst unser ‚dunkles Mittelalter‘ – schönheitlich stand es höher als wir, und seine Scheiterhaufen, wenn man nicht gleich selbst an die Reihe kam, waren gar nicht so schlimm.“

     „Ich erlebe noch,“ lachte Armgard, „daß du ’nen neuen Kreuzzug oder ähnliches predigst. Aber wir sind von unserm eigentlichen Thema ganz abgekommen, von der Domina. Du sagtest, ihre Gefühle widersprächen sich untereinander. Welche Gefühle?“

     „Darauf ist leicht Antwort geben. Erst beglückwünscht sie sich zu sich selbst, und hinterher ärgert sie sich über sich selbst. Und daß sie das muß, daran sind wir schuld, und das kann sie uns nicht verzeihn.“

     „Ich würde vielleicht zustimmen, wenn das, was du da sagst, nicht so sehr eitel klänge… Sie hat übrigens einen guten Verstand.“

     „Den hat sie, gewiß, den haben sie alle hier oder doch die meisten. Aber ein guter Verstand, so viel er ist, ist auch wieder recht wenig und schließlich – ich muß leider zu diesem Berolinismus greifen – ist diese gute Domina doch nichts weiter als eine Stakete, lang und spitz. Und nicht mal grüngestrichen.“

     „Und der Alte? Der wenigstens wird doch vor deiner Kritik bestehn.“

     „O, der; der ist hors concours und geht noch über Woldemar hinaus. Was meinst du, wenn ich den Alten heiratete?“

     „Sprich nicht so, Melusine. Ich weiß ja recht gut, wie das alles von dir gemeint ist, Übermut und wieder

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Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_381.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)