Seite:Der Stechlin (Fontane) 165.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

von musikalischem Ohr ist mir geblieben –, so war es Chopin, was Armgard zu Beginn der Stunde spielte…“

     Wrschowitz verneigte sich.

     „Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle Polen, vorausgesetzt, daß sie Musikanten oder Dichter oder auch Wissenschaftsmenschen sind. Als Politiker kann ich mich mit ihnen nicht befreunden. Aber vielleicht nur deshalb nicht, weil ich Deutscher und sogar Preuße bin.“

     „Sehr warr, sehr warr,“ sagte Wrschowitz, mehr gesinnungstüchtig als artig.

     „Ich darf sagen, daß ich für polnische Musiker, von meinen frühesten Leutnantstagen an, eine schwärmerische Vorliebe gehabt habe. Da gab es unter anderm eine Polonaise von Oginski, die damals so regelmäßig und mit so viel Passion gespielt wurde, wie später der Erlkönig oder die Glocken von Speier. Es war auch die Zeit vom ‚Alten Feldherrn‘ und von ‚Denkst du daran, mein tapferer Lagienka‘.“

     „Jawohl, Herr Graff, eine schlechte Zeit. Und warr mir immerdarr eine besondere Lust zu sehen, wie das Sentimentalle wieder fällt. Immer merr, immer merr. Ich hasse das Sentimentalle de tout mon cœur.“

     „Worin ich,“ sagte Woldemar, „Herrn Doktor Wrschowitz durchaus zustimme. Wir haben in der Poesie genau dasselbe. Da gab es auch dergleichen, und ich bekenne, daß ich als Knabe für solche Sentimentalitäten geschwärmt habe. Meine besondere Schwärmerei war ,König Renés Tochter‘ von Henrik Hertz, einem jungen Kopenhagener, wenn ich nicht irre…“

     Wrschowitz verfärbte sich, was Woldemar, als er es wahrnahm, zu sofortigem raschen Einlenken bestimmte.

     „…König Renés Tochter, ein lyrisches Drama. Aber schon seit lange wieder vergessen. Wir stehen jetzt im Zeichen von Tolstoi und der Kreuzersonate.“

     „Sehr warr, sehr warr,“ sagte der rasch wieder beruhigte

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)