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ist ihm etwas gegeben, was ihn aus dem Zufall der Geschehnisse erhebt. Dadurch, daß ein Gott ihm gegeben „zu sagen, was er leidet,“ aber auch zu sagen, wie er sich freut, zu offenbaren, was er schaut und hört, hat er schon seinen Lohn. – Durch die Gaben, die Gott oder die Natur ihm gegeben, wird er selber zum Gebenden. –


Aus der Rede am 60. Geburtstag. 2. Oktober 1899

Aus der Gemeinschaft des Gefühlslebens entsprungen, erhaben über alle egoistischen Bestrebungen, die der Tag, das Leben notwendig mit sich bringen, die entzweien und zum Kampf führen, stellt die Kunst einen schönen Frieden her. Wir können durch sie erhoben sein in eine Region über allem Lieben und Hassen. – Ein Hauch der Versöhnung begleitet sie, und was der Wille heftig fordert und erkämpft im Leben, das schweigt vor ihr und sie löst es auf zu stillem Schauen. – Wir können dem ähnlich werden, was man sich unter Göttern denkt – die Ruhe kommt, die alle Angst des klopfenden Herzens verscheucht, – die große Gelassenheit. – Ja, wenn sich die Kunst so recht in ihrer Erhabenheit würde zeigen können, so wäre der Frieden auf der Erde hergestellt – aber sie ist halt auch nur menschlich, Schwächen mischen sich ein – ja, sogar Verzeichnungen sollen vorkommen.

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Die Natur hat mir ein gutes Augenpaar zum Sehen und Schauen mitgegeben, von den Eltern erbte ich Ausdauer im Arbeiten und die ruhige Geduld, das große Erbgut armer Leute, wenn sie dieselbe richtig gebrauchen lernen; als besonderes Muttererbe wurde mir ein reicher Schatz von Phantasie und Poesie in den einfachsten Grundformen, wie sie im Volke noch leben – meine Erziehung zur Kunst war geradezu glänzend, die Dorfschule mit ihren Anforderungen war mir leicht und ließ mir viel Zeit, all den Wechsel von Licht und Farbe zu sehen, wie die Jahreszeit ihn hervorbringt. Was hatte ich für Zeit, in die Wolken zu schauen, von den Höhen ins Tal hinunter und hinauf

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Joseph August Beringer (Hrsg.): Der Malerpoet. Delphin-Verlag München, München 1917, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Malerpoet.pdf/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)