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getrennt, und als ich schon lange einen grauen Bart hatte, war ich eigentlich immer noch ihr Bub, den sie mit ihrer ganzen Muttersorge umgab. – So etwas gibt einem doch ein Gefühl von Jungsein, das etwas ganz anderes ist, als ein gewaltsames Jungseinwollen. – Ich habe dies stark empfunden, denn als meine Mutter starb, hatte ich das erstemal das Gefühl, daß ich alt geworden sei.

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Konfessionelle Streitigkeiten über die äußern Formen des Christentums, die ja leider oft so erbitterte Gestalt annehmen, dürften wohl doch noch im milden heitern Geiste des Deutschtums, das ja in Treue und in der Aufrichtigkeit gegen sein eigenes Wesen bestehen soll, sich versöhnen lassen – im Geiste wahrer Duldung und brüderlicher Liebe. – Das deutsche Wesen kann auch die ihm fremden Elemente in sich aufnehmen – nicht zu seinem Schaden – einem gesunden Organismus schadet nichts so leicht, er verdaut alles, und wenn Gott sein Volk lieb hat, so müssen ihm alle Dinge zum Besten dienen. –

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Nach langen Jahren, in manchem ein anderer geworden, bin ich wieder auf den Schwarzwaldhöhen, der Himmel über mir strahlt im gloriosesten Abendglanze, und die silbrig schimmernden Schindeldächer im Tale liegen schon schlafend, in blauender Ruhe die Täler, dunkel steigen aus ihnen schwankende Gestalten der Erinnerungen herauf, sie ziehen in die nahende Nacht des Vergessens hinein, es ist so einsam um mich; es schlafen die Brüder und Schwestern mit ihrem Glück und mit ihren Leiden unten im Tal, nun kann ich sie alle liebhaben, nun muß ich sie alle liebhaben, es ist mir, als ob ich sie schützen müßte in ihrem Wohl und Weh, und ich seufze auf, daß ich die Macht dazu nicht habe. – Da steigt die Göttertochter Phantasie zu mir herab, diese Trösterin des Menschen in seiner größten Einsamkeit, und auf dem Fels zwischen den Tannen zeigt sie mir einen eisengepanzerten Ritter, der hat Flügel, und ein Heiligenschein

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Joseph August Beringer (Hrsg.): Der Malerpoet. Delphin-Verlag München, München 1917, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Malerpoet.pdf/34&oldid=- (Version vom 31.7.2018)