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hat, während die Ruhe des Einzelnen, ja auch der Frieden eines ganzen Hauses überhaupt nicht strafrechtlich geschützt wird. Aber auch in zahllosen Fällen, wo der Lärm eine öffentliche Kalamität geworden ist, steht der Rechtsschutz des verworren unklaren § 360, 11, welcher „Lärm und Unfug” zusammenschweisst nur auf dem Papier… Wie grob, schwankend und willkürlich die Anwendung dieses jämmerlichen Übertretungsparagraphen ist, zeigen aufs deutlichste einige Erläuterungen des Olshausen’schen Kommentares[1]. – Die Möglichkeit der Klage ist nach diesen Erläuterungen an eine Unsumme einschränkender, dehnbarer Begriffsbestimmungen gebunden. Es muss erstens festgestellt werden, ob der Lärm „ruhestörend” ist, d. h. ob auch vorsätzliche Verletzung oder Gefährdung der „öffentlichen Ordnung” vorliegt und nicht etwa nur „Fahrlässigkeit” und „Polizeidelikt”. Der selbe Nachweis ist nach der Entscheidung des preussischen Obertribunals auch für das Geltendmachen von § 340, 9 des preussischen Strafgesetzbuches erforderlich. – Leider aber streiten sich nun die Strafrechtslehrer auch um die Frage, ob eine tatsächliche Störung des Publikums durch den Lärm erfolgt sein müsse, oder ob „eine gegen die öffentliche Ordnung gerichtete Handlung, die vermöge ihrer Natur geeignet ist, das Publikum zu belästigen oder zu stören” schon unter Strafantrag gestellt werden kann. Liegt aber kein tatsächlich allgemein anerkanntes, sondern nur „mögliches Ärgernis” vor, so hängt es nur von den Richtern ab, ob sie eben das selbe als „Belästigung” anerkennen, was für mich und andere belästigend zu sein scheint… Zweitens muss auch festgestellt werden, dass der Lärm „vorsätzlich” verübt wurde. Wo z. B. eine bloss „fahrlässige Unterlassung” vorliegt (etwa die, „dass jemand seinen Hahn nicht am Krähen hindert” oder „seinen Hund nicht vom Bellen abhält”), da ist keine Klage auf Grund des Strafgesetzes möglich. Sie wäre nur möglich, wenn mein Gegner seinen Hahn absichtlich krähen lässt oder seinen Hund „zum Bellen animiert.” Dies kann ich ihm aber natürlich niemals nachweisen… Drittens muss die Erregung des Lärms „Ungebührlichermassen” erfolgen. „Ungebührlichermassen” ist aber nicht gleichbedeutend mit „unbefugt“. Sondern es bezeichnet „die unnötig belästigende Überschreitung einer zustehenden Befugnis.” – Was nun aber „befugt” oder „unbefugt”; „gebührlich” oder „ungebührlich”; „nötig” oder „unnötig” ist, das soll hinwiederum von Fall zu Fall das Gericht entscheiden. So wurde in Berlin nach dem Pr.A.L.R. I, 8, § 27 ein Mann bestraft, der eine Maschine aufgestellt hatte, „mit der Absicht seine Nachbarn zu schikanieren”[2].


  1. Vergl. Bd. ;II, S. 1398 ff., T. II, Absch. 29 zu § 360 Nr. 11. Ich konnte leider nur nach der 3., statt der sehr erweiterten 7. Auflage zitieren
  2. Heute würde vermutlich, da § 27 L. R. seit 1900 nicht mehr gilt, der berühmte Schikaneparagraph (226 B. G.) herangezogen werden. Dazu Schadenersatz nach 823, 826.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)