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und der „Staatraison” „gefasst” werden sollen, da steht nur ein einziger Paragraph zur Verfügung, unter den man alles bringt, was man sonst nicht definieren und bezeichnen kann, der Paragraph wider den „groben Unfug”. „Grober Unfug” kann schliesslich alles sein: Der Lärm eines Hundes so gut wie Unreinlichkeit; Ungebühr und Taktlosigkeit sowohl wie eine Theaterkritik; Strassenaufläufe, Exzesse ebensowohl wie publizistische Broschüren. Hier ist dem subjektiven Geschmack und Takt der Richter ein weiter Spielraum gegeben. Will man aber eine Klage gegen Lärm und störendes Geräusch nicht auf Grund dieses „groben Unfugparagraphen” erheben, so bleibt nur die Möglichkeit, auf Grund des bürgerlichen Gesetzbuches die Paragraphen zum Schutze des Eigentums oder auch die Paragraphen des Verwaltungsgesetzes, die einen Damm gegen „Immissionen” bilden, heranzuziehen. Dieses ist denn auch in der Tat der übliche Weg der Lärmklage. Sie wird nur in sehr seltenen Fällen auf Grund des Strafgesetzes angestrengt. Aber es hätte schliesslich ebensoviel Sinn bei Schädigung von Gesundheit und Arbeitskraft auf „grobe Körperverletzung” oder „Realinjurie” zu klagen, als Belästigungen durch Geräusch als „Immission des Eigentums” auszudeuten und ins Sachrecht hineinzuschieben. Ich meine, dass sich die Abwehrklage gegen den Lärm in die bestehenden Paragraphen nur gequält eingliedert, und dass sich künftig nicht vermeiden lässt, sie einem besonderen „hygienischen” Paragraphen einzuverleiben, als eine der Spezifikationen, die aus dem vergänglichen Unfugparagraphen hervorgehen werden…


2.

Ein gewisser Schutz gegen Lärm scheint zunächst in dem bekannten § 360 Z. 11 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich und in der gleichartigen Vorschrift des § 340 Z. 9 des preussischen Strafgesetzbuches gegeben zu sein. An diesen Stellen nämlich wird derjenige, welcher ruhestörenden Lärm oder groben Unfug verübt, mit einer Geldstrafe[WS 1] bis zu 150 Mark bedroht. Es erhellt aber ohne weiteres, dass dieses Strafmass, das auch dem schlimmsten, boshaftesten Unfug gegenüber die Höhe von 150 Mark Geldbusse nicht überschreiten kann, viel zu gering ist, um einen wirksamen Rechtsschutz zu schaffen. Das erweisen die vielen infamen witzlosen Streiche, die fortwährend von Leuten aus der sogenannten gebildeten Gesellschaft rein aus Zerstörerlaune und eitel Willkür verübt werden, wie etwa falsche Alarmierung der Feuerwehren und Unfallstationen, Durchschneiden von Läutewerken oder Telegraphendrähten, Abgeben falscher Notsignale in der Eisenbahn und dergleichen mehr. – Alles das in dem nie getäuschten Vertrauen, dass der „Scherz” nicht mehr als höchstens 150 Mark kosten wird. – Hierzu kommt, dass Lärmen und Randalieren nur dann straffällig ist, wenn es ein öffentliches, von mehreren Zeugen bestätigtes Ärgernis gegeben[WS 2]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ge strafe
  2. Vorlage: „ge“, dann fehlen Buchstaben bis Zeilenende
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/77&oldid=- (Version vom 31.7.2018)