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Rationellere Formen der Hauswirtschaft und des Familienlebens aber werden erstehen. Sie werden ein grosses Stück all des wohl entbehrlichen, ganz zwecklos und unnütz vollführten, dilettantischen Gelärmes beseitigen, durch das wir unter der Alleinherrschaft der gegenwärtigen Wirtschaftsform so oft und so bitter gelitten haben. Künftige Geschlechter werden uns belächeln. Sie werden nicht begreifen, warum die Räder unseres Wirtschaftsgetriebes so furchtbar knarren und dröhnen mussten, warum wir denn so gelebt haben und so gestorben sind. – Ihr könnt freilich billig höhnen, dieses alles sei Zukunftstraummusik. Aber ich sehe nicht ein, dass die Gegenwartsmusik des Staubklopfers und Teppichschlägers liebenswürdiger sei…


7.

„Wer nennt mir wohl das hochgelobte Land
Zeigt mir den Weg zur benedeiten Gasse,
Wo das Klavier noch keinen Eingang fand.
Dies Marterwerkzeug, das ich grimmig hasse.
Schriebst heut Du die Vernunftkritik, o Kant,
Ansammelnd mächtige Gedankenmasse,
Du müsstest taub sein, philosoph’scher Heiland,
Wo nicht, Dich flüchten auf ein wüstes Eiland.”

L. Fulda.

Wir sind ein Ohrenvolk, aller Anschaulichkeit und Sichtbarkeit bar. Aber wenn der Anblick unseres Lebens übertrieben, formlos, hässlich oder gar komisch sich ausnimmt, so besitzen wir doch auf einem Schaffensgebiete einen tröstenden Vorzug: im Reich der Töne sind wir tief innerliche Empfinder und Träumer. Die Musik ist die bestimmende Macht unserer Volksseele, der unbestreitbare Stolz deutscher Kultur. Das ist ein Vorzug, ist auch ein Nachteil. Denn wir sind dem entzückenden Teufel so vollkommen ausgeliefert, dass deutsche Kultur an musikalischer Elephantiasis schliesslich zugrunde geht… Kann man sich denn in Deutschland irgendwo unter Menschen getrauen, ohne auf Stunden dem Gesang oder Instrumentalspiel eines Dilettanten ausgeliefert zu werden? Gibt es irgendwo Wälder und Parke, wo man sicher ist vor dem Potpourri, vor dem Promenadekonzert und der Militärkapelle? – Ich rede hier nicht von grosser Kunst. Rede nicht von den wenigen, die Musik als ernstes Studium und Arbeit treiben. Diese werden mich schon verstehen, denn ihre ernste Freude hat nichts zu schaffen mit den Vergnügungen aller der Hunderttausende für die Musik ein gelegentlicher Zeitvertreib, eine Abladestelle billiger, flacher Gefühle, eine Salpeterplantage müssiger, spielerischer, exzitierender Erregungen ist. Ich wünsche nichts zu ungunsten allgemeineren Verständnisses der Musik zu sagen. Wer imstande ist, Partituren und Klavierauszüge der grössten Orchesterwerke, die Werke Bachs und die Lieder mancher neueren Meister im stillen Zimmer zu studieren, besitzt einen Reichtum, der ihn über alle Welt und alle Not der Welt hinaushebt.

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)