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der Polstermöbel sind längst gewürdigt. Aber man hat darum noch keineswegs die für das öffentliche Wohl notwendigen Massregeln getroffen. Man sollte bei der Einrichtung öffentlicher Gebäude, wie Gerichtssäle, Bibliotheken, Schulen, Banken, Galerien, Museen, Vergnügungs- und Speiselokalitäten niemals Polstermöbel und Sessel verwenden. Die üblichen roten Plüschsessel in den grossstädtischen Cafés, an denen jedermann sein Haupt scheuert, sind gar widerwärtig. Man besuche eine grosse moderne Privatbank oder die Bureaux moderner Grosskaufleute oder Industrieller, man überzeuge sich, wie geschmackvoll und solide, bequem und schön grosse Räume mit behaglichen Holzmöbeln oder Ledermöbeln ausgestattet werden können, ohne Stoffe, Plüsche, Portièren, schwere Teppiche. Man bedecke die Wände mit leichtem Farbenfirnis oder waschbarer Lincrustatapete, den Boden mit sauberem, häufig mit Karbollösung gereinigtem Linoleum; man verwende keine Ripps-, Samet- und Plüschstoffe, wohl aber festes waschbares Leder. Es ist eine Erfahrung, die jeder Reisende bestätigt, dass man mit der dritten Wagenklasse gesunder und gefahrloser in Bäder und Kurorte reist, als auf den bedrohlichen Polstern der beiden oberen Klassen[1]

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Es wäre nun aber zu erfragen, wie denn die schrecklichen Begleiterscheinungen der Hausreinigung vermieden werden können? Man darf wahrlich nicht erwarten, dass in jeder kleinen Familie die einzige geplagte Dienstmagd oder die arme Hausfrau (etwa auf Handkarren) Bettstücke


  1. Auf den böhmischen Bahnen fand ich in den Kupees folgende Verfügung in deutscher und böhmischer Sprache aushängen: „Das freie Ausspucken ist strengstens verboten. Zuwiderhandelnde werden nach der Ministerialverordnung vom 30. September 1857 R.-G.-Bl. 198 mit Geldstrafen von 2 bis 200 Kronen oder mit Arrest von 6 Stunden bis 14 Tagen bestraft.” – Diese Strafe ist viel zu niedrig. Ähnliche Verordnungen aber sollten im Hinblick auf die Tuberkulosegefahr für alle Bahnen gelten, nicht bloss in Böhmen. – In bezug auf die Gefahren durch Polstermöbel möchte ich noch folgendes bemerken: Es gibt kein anderes Land, in dem eine edle Tradition so sehr der Hygiene im Wege steht, wie in Deutschland. Gerade in der besten Kulturgesellschaft, insbesondere auf den Schlössern des Adels ist der Hausrat mehr oder minder „historisch”. Man erschrickt, wenn man die Stillosigkeit berühmter Paläste betrachtet. Zwischen Ahnenbildern in vergoldeten Rokkokorahmen hängt das Telephon; hohe Säle voll unpraktischer Meubels; Säle, in denen alte Vitrinen und ungeheuere Kachelöfen stehn, durch Dampfheizung erwärmt, die heimlich hinter den alten Gobelins und Draperien der Wände verborgen liegt. Ein Parvenü in Nordamerika ist komfortabler, stilvoller und vor allem hygienischer eingerichtet als unsere vornehmsten Adelsgeschlechter in Ostpreussen, Brandenburg, Böhmen oder Ungarn. Sie leben mehr in einem Museum als in Arbeits- und Wohnräumen, als Diener ihrer Geschichte, als Diener der Ehrfurcht gegen tote Jahrhunderte.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/64&oldid=- (Version vom 31.7.2018)