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hinterlassen, in die offenen Respirationsorgane, wird niedergeschluckt, verarbeitet und in die Blutbahn gebracht… Welche Bedeutung dieser spezifischen Art von Möbelreinigung für die Gesundheitsstatistik zuzuschreiben ist, zeigt sich an dem folgenden Beispiel, das ich dem Bericht eines in Tunesien lebenden Arztes entnehme. Dieser legte über die Verbreitung der Infektionskrankheiten bei in bezug auf „Rassenanlage” ungleichen Bevölkerungsschichten Statistiken an. Ihre Ergebnisse wünschte er durch die angeborenen Unterschiede der „biologischen Konstitution”, auf Grund verschiedener „genuiner Nosotropie” zu erklären. – Nun aber zeigte sich, dass unter den drei hauptsächlichen, ihrer Deszendenz nach verschiedenen Bevölkerungsschichten Tunesiens, der arabischen, europäischen und jüdischen Bevölkerung bestimmte Krankheitstypen in der Tat endemisch lokalisiert sind. Man findet insbesondere, dass der blondere, blassere europäische Typus den Erkrankungen des Blutkreislaufes, z. B. Anämie und Chlorose leichter ausgesetzt ist als der brünette Typ, dass bei den dunkel pigmentierten Individuen dagegen die nervösen Erkrankungen mannigfacher sind, ja dass man im groben von dem Typ des „Blutmenschen” und dem des „Nervenmenschen” reden könnte. In bezug nun auf die spezielle Verbreitung der Tuberkulose war auffallend, dass sie bei den tunesischen Juden nicht eben gross ist, obwohl diese zum grösseren Teil der allerärmsten Volksschicht zugehören. Die Sterblichkeit an Schwindsucht bei der arabischen, europäischen und jüdischen Bevölkerung Tunesiens verhält sich konstant wie 12:6:1. Da nun aber die „Nosotropie” der arabischen und jüdischen Bevölkerung sich im übrigen als fast gleichartig erweist, so muss hinter dieser Ausnahmestellung des Juden zur Tuberkulose noch ein besonderer Faktor zu suchen sein. Das Rätsel löst sich aufs allereinfachste. Der Jude darf in Bethäusern und Versammlungshäusern keinerlei Polster, Teppiche und Zeugstoffe verwenden. Er benutzt sie auch in den Privatwohnungen nicht und hängt sogar nur ausnahmsweise Vorhänge an die Fenster. Da er somit ausschliesslich Holzmöbel benutzt, so kennt er auch nicht die europäische Art der Wohnungsreinigung mit trockenen Besen, sondern er gebraucht feuchte Lappen, mit denen alle Gebrauchsgegenstände mehrmals am Tage abgestaubt werden. Damit ist eine zwar primitive aber ganz rationelle Hygiene der Hausreinigung gegeben. Denn es ist keine Frage, dass der viele trockene Staub bei der Hausreinigung (der so oft einfach unter die Schränke gefegt wird), dass ferner das gebräuchliche Daunenbett, dessen Schütteln und Klopfen auf Balkons und in Höfen die Luft mit Krankheitsstoffen erfüllt, und dass endlich das primitive Ausklopfen der Polstermöbel an dem Entstehen von Epidemien in Städten wesentlich beteiligt sind.

Haben wir dies alles erkannt, so wissen wir, was wir von dieser heimtückischen, gemeinsten Lärmart künftig zu halten haben. Die Gefahren

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)