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5.

„Hunde heulen durch die Nacht,
Wie es mir das Herz befällt!
Ja, es schleicht was durch die Welt,
Das uns alle schaudern macht.”

Ich komme nun zu einer Art Geräusch, die sich von allen bisher namhaft gemachten wesentlich unterscheidet, ich meine die qualvoll störenden Lärmgeräusche, die aus dem Zusammenleben mit Haustieren erwachsen und den Kaufpreis bilden, mit dem wir die mannigfachen Freuden und Nutzen, die uns Tiere bringen, zu zahlen pflegen. Das Bellen und Heulen der Hunde zur Nachtzeit hinter den Verzäunungen der Bauplätze. Der merkwürdige, markerschütternde Schrei, den wir zuweilen vom Pferde hören, diesem rührenden „Caliban der Welt”, der so vieles willig trägt, weil er seiner überlegenen Kraft nicht bewusst ist. Das Schreien eingekäfigter Tiere in den Zoologischen Gärten und Menagerien. Der nächtliche Schrei der Katze, vor allem aber der Ton gefangener Stubenvögel, – das alles ist mehr als der gewöhnliche menschliche Werktagslärm und Feiertagslärm. Denn es zieht uns in das Leben fühlender Wesen ein, die in diesen Lauten ihre einzige Sprache haben. Und dieses ganze Leben ist unserer Verantwortung oder Willkür ausgeliefert. Dieser Lärm ist unerträglich, weil er immer irgendwelches Leiden offenbart, dem man nicht beikommen und helfen kann, unerträglich, weil er uns aufrüttelt und zugleich unsere tatlose Ohnmacht offenbart. Wenn ich auf Vogelstimmen vor meinem Fenster achte, dann weiss ich genau, ob ein Vogel aus Angst schreit oder locken will, brütet oder wirbt, seine Jungen warnt oder um Futter ruft. Eben darum ist es schwer, sich gegen diese Stimmen abzustumpfen. Hammer- und Arbeitslärm belästigt die Ohren; die Tiere aber würden die ganze Seele in Anspruch nehmen, wenn wir nur genug Seele besässen. Dann aber wüssten wir auch, dass es vor diesem Lärm keine andere Zuflucht gibt, denn stärkeres Verantwortungsbedürfnis gegenüber der Tierwelt. Insbesondere ist das Heulen und Jammern der Hunde meist eine Anklage. Sie schreien so wenig ohne Grund, wie ein gutgehaltener, gesunder Säugling grundlos zu schreien pflegt. Dies gilt vor allem von den wahrhaft vornehmen Hunderassen, insbesondere von Terrier, Jagdhund, Bernhardiner, Pudel, Spitz, Dogge und Mops, denn diese Hunde sind durchaus nicht zudringlich lärmend, sondern in der Regel würdiger und von vornehmerem Charakter als durchschnittliche Menschen. Wenn man aber diese Tiere an die Kette legt oder in engen Räumen eingesperrt hält, so ist es vollkommen gerecht, dass sie Grausamkeit mit bösartigem, zwecklosem Gebelle vergelten. Die Vergewaltigung gutartiger Tiere hat das ungeheure Schuldkonto des Menschen unsühnbar belastet. Solch ein gequältes Tier kennt nicht seinen Schmerz,

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)