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schon Schopenhauer[WS 1] so lebendige Worte schrieb, dass ich nichts Besseres weiss, als wenigstens einen kurzen Passus seiner Abhandlung hierher zu setzen. „Die Sache stellt sich dar als reiner Mutwille, ja als frecher Hohn des mit den Armen arbeitenden Teiles der Gesellschaft gegen den mit dem Kopf arbeitenden. Dass eine solche Infamie in Städten geduldet wird, ist eine grosse Barbarei und eine Ungerechtigkeit, um so mehr, als es gar leicht zu beseitigen wäre durch polizeiliche Anordnung eines Knotens am Ende jeder Peitschenschnur. Es kann nicht schaden, dass man die Proletarier auf die Kopfarbeit der über ihnen stehenden Klasse aufmerksam mache; denn sie haben vor aller Kopfarbeit eine unbändige Angst. Dass nun aber ein Kerl, der mit ledigen Postpferden oder auf einem losen Karrengaul die engen Strassen einer volkreichen Stadt durchreitend, mit einer klafterlangen Peitsche aus Leibeskräften unaufhörlich klatscht, nicht verdiene sogleich abzusitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, das werden mir alle Philantropen der Welt, nebst den legislativen, sämtliche Leibesstrafen aus guten Gründen abschaffenden Versammlungen nicht einreden. Aber etwas noch Stärkeres als Jenes kann man oft genug sehen, nämlich so einen Fuhrknecht, der allein und ohne Pferde durch die Strassen gehend, unaufhörlich klatscht: so sehr ist diesem Menschen der Peitschenknall zur Gewohnheit geworden, infolge unverantwortlicher Nachsicht. Soll denn, bei der so allgemeinen Zärtlichkeit für den Leib und alle seine Befriedigungen, der denkende Geist das Einzige sein, was nie die geringste Berücksichtigung noch Schutz, geschweige Respekt erfährt? – Fuhrknechte, Sackträger, Eckensteher u. dergl. sind Lasttiere der menschlichen Gesellschaft, sie sollen durchaus human, mit Gerechtigkeit, Billigkeit, Nachsicht und Vorsorge behandelt werden; aber ihnen darf nicht gestattet sein, durch mutwilligen Lärm den höheren Bestrebungen des Menschengeschlechtes hinderlich zu werden. Ich möchte wissen, wie viele grosse und schöne Gedanken diese Peitschen schon aus der Welt geknallt haben. Hätte ich zu befehlen, so sollte in den Köpfen der Fuhrknechte ein unzerreissbares nexus idearum zwischen Peitschenknallen und Prügelkriegen erzeugt werden.” Gegen unnützes, brutales Peitschengeknall bietet in der Tat weder die Strafgesetzgebung, noch das bürgerliche Recht irgendwelchen Rechtsschutz. Die gesamte Regelung des Verkehrs der Privatfuhrwerke, Droschken, Hansoms, Gepäckwagen, Lastwagen, Omnibusse und Autobusse untersteht den Ortspolizeibehörden, die zwar allerlei Vorschriften und Verfügungen erlassen, in der Regel aber keine Machtmittel haben, um zahllosen Übergriffen der auf den Strassen lebenden Arbeiterklassen (wie Fuhrleute, Kutscher, Pflasterer, Trottoir-, Kanalarbeiter usw.) wirksam zu begegnen. Nur in wenigen Städten besteht eine ausgiebige Polizeigesetzgebung über Peitschenknallen, Räderknarren und das Schottern der Lastfuhrwerke. In Deutschland

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)