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von „Gehörproben”, die man mit exakten Untersuchungen des Zeitsinnes oder der Reaktionsgeschwindigkeit im wachen Zustand zu kombinieren versucht. Das schematische Verfahren bei diesen sehr variablen Experimenten ist etwa folgendes. Aus einer bestimmten, variierbaren Höhe fallen Gewichte auf eine Metallplatte, auf der durch diesen Fall qualitativ wie quantitativ verschiedene Geräusche oder Einzeltöne entstehen. Durch die Berührung der Platte aber wird ein Chronoskop in Bewegung gesetzt. Eine auf das Geräusch oder den Ton aufmerkende, im Nebenraum befindliche Versuchsperson (der die Schallquelle verborgen bleiben muss), hat im Moment der Apperzeption des Schalles eine Bewegung auszuführen, durch die das Chronoskop wieder zum Stillstehen gebracht wird. Somit kann an der Uhr abgelesen werden, wie viel Sekundentausendstel verstrichen sind zwischen dem Entstehen des Schalls und seiner Wahrnehmung…

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Was aber hat man denn nun eigentlich mit diesen Experimenten erprobt? Es scheint sich zunächst um die „Reaktionsgeschwindigkeit” des Individuums zu handeln. Aber in diese geht als ihr immanentes Wesensmoment sehr Vielerlei ein. Einerseits die augenblickliche „Bereitschaft”, andererseits die perzeptive „Empfänglichkeit”; endlich auch die apperzeptive Übung der Versuchsperson… Niemals aber fällt eine faktische Reaktionsschwelle mit der Schwelle der „Reagibilität” einer Versuchsperson zusammen. Selbst auf dem Gebiet scheinbar reflektorisch-spontaner Sinnesreaktionen liegt ein Irrtum der Experimentalpsychologie darin, dass sie das spezifische Moment der Aktivität der Versuchspersonen ausschaltet und mit ihren Apparaten verfährt, als ob das Bewusstsein der Versuchsperson „automatisch” sei und als ob aus der quantitativen Natur von Reizen und Reizäusserungen nun auch auf die qualitative Impressionabilität geschlossen werden dürfe. Die spezifische Fähigkeit zu einer Reaktion hat nichts zu schaffen mit der Geneigtheit zu ihr. Und die „Geneigtheit” wiederum ist ein anderes als die „Bereitschaft”. Die „Bereitschaft” zu einer Reaktion ein anderes, als die Möglichkeit zu reagieren. Und diese „Möglichkeit” zu reagieren, könnte endlich auch noch von dem kontinuierlichen Reaktionsvermögen unterschieden werden. Was also untersucht man bei den geschilderten Reaktionsversuchen? – Ist es die spezifische Beeindruckbarkeit? Ist es der Ausdrucksdrang? Das Ausdrucksvermögen? Die Ausdrucksmöglichkeit?… Man gewinnt bei diesen verführerischen Experimenten der Psychophysik freilich sehr billig gesicherte Resultate, wenn man sich gegen die „philosophischen

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/42&oldid=- (Version vom 31.7.2018)