Seite:Der Held von Berlin.pdf/9

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Er wollte hinauf. Endlich. Er wollte die Rolle erobern. Er wollte beweisen, dass er sie zu tragen vermochte. Seit Wochen, seit Monaten, ja, seit Jahren hatte er auf diesen Augenblick gewartet, für ihn gelitten und gedarbt und ihn mit einer monomanen Inbrunst und Gewissheit erharrt. Er wusste seit dem Tage, an dem er aus dem Fischerboot, aus dem kleinen friesischen Dorf auf Sylt durchgebrannt war und sich mit der unhemmbaren Verve des Genies der Bühne entgegengeschleudert hatte, dass er zum Sänger grössten Formats, zu höchstem Opernruhm vom Schicksal erkoren war. Wusste es, wie jeder es glaubte, der geblendet der Fata Morgana der Bühnenlaufbahn zujagt. Nur verbissener, besessener, phantastischer und berechtigter wusste er es, war von seiner Berufung durchglüht in der Esse seiner niederdeutschen starrnackigen Zähigkeit.

Nie in all den Jahren des erbitterten Kampfes um Bildung und Schulung der Stimme, nie in dieser harten Zeit der Erfolglosigkeit, der kläglichen Arbeit um das tägliche Brot, hatte er den Mut verloren, nie den Glauben an sich und seine titanische Zukunft. Er hatte das verwunschene Leben im Chor, in der Erniedrigung, in der Verpuppung ertragen in der steten, nie beirrten Zuversicht, dass eines Tages, urplötzlich, vom Himmel her seine Gelegenheit, seine grosse Chance, die Entzauberung auf ihn niederstürzen würde.

Daher überraschte sie ihn heute nicht. Er war auf sie vorbereitet, immer, zu jeder Stunde. Immer studierte er mit schonungsloser Energie die männliche Hauptrolle jeder Revue, jeder Operette, jeder

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Schirokauer: Der Held von Berlin. Typoskript, Berlin o. J., Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Held_von_Berlin.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)