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Heinrich Heine: Drei und dreißig Gedichte von Heinrich Heine. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 1824, S. 242–258

Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch,

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Vom Seemann, und wie er lebt,

Und zwischen Himmel und Wasser,
Und Angst und Freude schwebt.

Wir sprachen von fernen Küsten,
Vom Süden und vom Nord,

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Und von den seltsamen Menschen

Und seltsamen Sitten dort.

Am Ganges duftet’s und leuchtet’s,
Und Riesenbäume blüh’n,
Und schöne, stille Menschen

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Vor Lotosblumen knie’n.


In Lappland sind schmutzige Leute,
Plattköpfig, breitmäulig und klein;
Sie kauern um’s Feuer, und backen
Sich Fische, und quäken und schrei’n.

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Die Mädchen horchten ernsthaft,

Und endlich sprach Niemand mehr;
Der Mast war nicht mehr sichtbar,
Es dunkelte gar zu sehr.


 XII.
Du schönes Fischermädchen,
Treibe den Kahn an’s Land;
Komm zu mir und setze dich nieder,
Wir kosen Hand in Hand.

5
Leg’ an mein Herz dein Köpfchen,

Und fürchte dich nicht zu sehr,
Vertrau’st du dich doch sorglos
Täglich dem wilden Meer.

Mein Herz gleicht ganz dem Meere,

10
Hat Sturm und Ebb’ und Fluth,

Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht.


 XIII.
Der Mond ist aufgegangen,
Und überstrahlt die Well’n;
Ich halte sie lieb umfangen,
Und unsre Herzen schwell’n.

5
Im Arm des holden Kindes

Ruh’ ich allein am Strand;
Was horch’st du bei’m Rauschen des Windes?
Was zuckt deine weiße Hand?

„Das ist kein Rauschen des Windes,

10
Das ist der Seejungfern-Gesang,

Und meine Schwestern sind es,
Die einst das Meer verschlang.“


 XIV.
Der Sturm spielt auf zum Tanze,
Es pfeift und saust und brüllt,
Heisa, wie springt das Schifflein!
Die Nacht ist lustig und wild.

5
Ein lebendes Wassergebirge

Bildet die tosende See;
Hier jähnt ein schwarzer Abgrund,
Dort thürmt es sich weiß in die Höh’.

Ein Fluchen, Erbrechen und Beten,

10
Schallt aus der Kajüte heraus;

Ich halte mich fester am Mastbaum,
Und wünsche: wär’ ich zu Haus.


 XV.
Der Abend kommt gezogen,
Der Nebel bedeckt die See;
Geheimnißvoll rauschen die Wogen,
Da steigt es weiß in die Höh’.

5
Die Meerfrau steigt aus den Wellen,

Und setzt sich zu mir, am Strand;
Die weißen Brüste quellen
Hervor aus dem Schleiergewand.

Sie drückt mich und sie preßt mich,

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Und thut mir fast ein Weh’;

Du drück’st ja viel zu fest mich,
Du schöne Wasserfee.

„Ich presse dich in meinen Armen,
Und drücke dich mit Gewalt,

15
Ich will bei dir erwarmen,

Der Abend ist gar zu kalt.“

Der Mond schaut immer blasser
Aus dämm’riger Wolkenhöh’;
Dein Auge wird trüber und nasser,

20
Du schöne Wasserfee!


„Es wird nicht trüber und nasser,
Mein Aug’ ist naß und trüb,
Weil, als ich stieg aus dem Wasser,
Ein Tropfen im Auge blieb.“

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Die Möven schrillen kläglich,

Es grollt und brandet die See;
Dein Herz pocht wild beweglich,
Du schöne Wasserfee!

„Mein Herz pocht wild beweglich,

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Es pocht beweglich wild;

Weil ich dich liebe unsäglich,
Du liebes Menschenbild.“


Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Heine: Drei und dreißig Gedichte von Heinrich Heine. In: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz 1824, S. 242–258. Maurer, Berlin 1824, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Gesellschafter_1824_page_246.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)