Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/266

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

geben vermag, und wenn sie den Zehnten fordert, so geschieht es nach dem Ausspruche der Schrift. Wollen Sie sich dieser Ordnung fügen?“

„Ja, wenn ich Irvingianerin oder Irvinitin werde.“

„Sie verstehen mich, liebes Fräulein, die Chargen, die ich Ihnen verschafft habe, sind in meiner Hand, und ich werde sie zurücknehmen, wenn Sie sich nicht von mir leiten lassen.“

„Aber Sie werden doch nicht verlangen, daß ich zu einer Religion übertrete, die ich nicht kenne?“ erwiederte ich entsetzt.

„Nein, lautete die kalte Antwort, Sie sollen unterrichtet werden, aber Sie geben Zehnten von dem Tage, wo Sie die einträglichen Unterrichtsstunden erhielten.“

Ich war höchst begierig, in die Lehren dieser Kirche eingeweiht zu werden, und versprach, den verlangten Zehnten zu geben. Fräulein D. befahl mir schließlich, denselben Nachmittag den Gottesdienst in der Hauptkirche in Newman-Street zu besuchen und versprach für das Uebrige zu sorgen.

Diese Kirche glich äußerlich ganz den Häusern in der Straße; durch die Thüre tritt man in eine geräumige Vorhalle, welche nach dem Innern der Kirche führt. Dieses ist ganz einfach, der ebenfalls ganz einfache Altar ist mit einem Gewande umgeben und hinter demselben befindet sich eine gewölbte Vertiefung, zu deren beiden Seiten Kapellen, die als Beichtstühle dienen. Ueber der Thüre dem Altar gegenüber ist in halber Höhe der Chor, und zu beiden Seiten desselben befinden sich Galerien. Ein alter Mann mit einem ehrwürdigen Gesicht kam, als der Gottesdienst beginnen sollte, aus der Sakristei hinter dem Altar und setzte sich neben diesem auf einen Armstuhl. Die Orgel spielte hierauf ein Präludium, worauf der alte Mann die Nummer des zu singenden Liedes nannte und dann selbst sang, wozu die Orgel und die Gemeinde begleitete. Hierauf erschienen sechs Geistliche in weißen Priesterhemden mit der Stola darüber, und stellten sich rechts vom Altar in einer Reihe abwärts. Der erste begann seine Rede mit dem Bibelvers: „Wie die Blume verblühet und das Gras verdorrt, so vergehet die Herrlichkeit des Menschen,“ worüber er eine Betrachtung machte, während er vor sich niederblickte. Der zweite setzte diese Betrachtung fort, und desgleichen thaten alle übrigen. Der Gottesdienst ward mit Gesang beschlossen. Sämmtliche Betrachtungen waren rein biblisch, durchdacht, die Sprache poetisch, die Gesänge gut, und das