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und die Sonne blickte wie ein Feuerball durch den dicken Nebel hindurch als wir von W.-H. abreisten. – Julius begleitete uns, und in Kendal reiste er mit der Familie weiter in einer anderen Linie, während ich gerade nach London fuhr. – Unser Abschied war stoisch.

In London fand ich ein ruhiges Quartier bei der Familie eines City-Missionary, eines Stadt-Missionars, welches ich mir für die Zeit meiner Ankunft in London sicherte. Dann reiste ich nach R… wo auch die Familie R. bald ankam. Tages darauf erhielt ich meinen Gehalt nebst Reisegeld und trat sofort meine Rückkehr nach der Hauptstadt an. Ich übergehe die Empfindungen und Betrachtungen, welchen ich mich überließ, und gehe zu den Thatsachen über.

Schon nach einigen Tagen erhielt ich eine Stelle in der Familie eines Herrn G., welche der Typus des Engländers war, wie ihn der Deutsche sich denkt – personifizirter Stolz, kalt, schroff, voll Vorurtheile gegen Ausländer, so daß es bei dem aufrichtigsten Bestreben unmöglich war, eine Art von Annäherung oder Interesse zu erzielen. Eines Tages begegnete ich Herrn G. in Oxford-Street, aber ich wagte nicht, ihn anzublicken, denn ich war krank an Körper und Geist; doch habe ich es oft bereut, denn er blieb stehen und sah mir nach. Er schien ein edler Mann und hätte vielleicht meine Rechtfertigung gegenüber einer Meute von Verfolgern übernommen. – Welcher Mensch begeht aber nicht ähnliche Fehler, die uns beim Rückblick auf unser Leben mehr schmerzen als unser Unglück? – Ich sollte bald erfahren, wie unvergleichlich wahr die Verleumdung in der Arie des Basilio im Barbier von Sevilla geschildert ist – „und der Arme muß verzagen, den Verleumdung hat geschlagen, hülflos geht er und verachtet als ein Ehrenmann zu Grund.“ Bald merkte ich auch in meinem neuen Kreise die Wirkungen der R.’schen Künste, aber wenigstens hatte ich auch sogleich ein Palliativmittel. Ich lernte nämlich hier unter andern auch eine ältliche Dame, Miß D., kennen, deren ganzer Name nichts zur Sache thut, welche mir rieth, mich mit Stundengeben zu beschäftigen und versprach, mir eine hinreichende Connexion und darunter auch die Familie ihrer Schwester, Frau Henry B., zu verschaffen. Ich verlies daher nach einigen Monaten die Familie G. und trat zu Anfang der London-Season meine neue Laufbahn an. Durch Frau B. und Miß D. erhielt ich bald eine bedeutende Anzahl sehr einträglicher Lectionen, so daß ich mich besser stand