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welche von ihrem Manne getrennt lebt. Hätte ich die Spröde gespielt, so wäre die Eifersucht und Wachsamkeit der Baronin geweckt worden, aber so ist sie meine treueste Gönnerin geblieben, welche mich bei jeder Gelegenheit auf das wärmste empfiehlt. Und Herr C. hätte sich nicht für mich bei Frau E. verbürgt, wäre ich gewesen wie Sie. Tugend und Schlechtigkeit sind sehr relative Begriffe und verändern ihre Bedeutung nach den verschiedenen Lagen und Personen. Ich bin in einer großen Geldklemme, Sie sollen Ihr Leben genießen und sich von mir leiten lassen, so ist uns beiden geholfen und wir bleiben gute Freunde.“

Ich hatte während der drei Monate, welche ich seit meiner Rückkehr vom Festlande bei Miß Ch. zugebracht hatte, einen ziemlich tiefen Blick in ihren Charakter gethan und wußte, daß sie nur einen Grundsatz, den Eigennutz, hatte, daß ihr jedes Mittel recht war, welches sie zu ihrem Zwecke führte, und daß ihre leidenschaftliche Gemüthsart sie zur Megäre machte, wenn sie auf Hindernisse stieß. Ich hielt es deshalb für rathsam, zu schweigen, und bedauerte im Stillen, eine so schmerzliche Erfahrung an einer Person zu machen, welche mich verpflichtet hatte und wirklich gewisse gute Eigenschaften besaß. So konnte sie z. B. Almosen nicht versagen und war fähig, für die Rettung eines Unterdrückten alle Kräfte aufzubieten. Als Gesellschafterin war sie unvergleichlich wegen ihres unverwüstlichen Humors, ihrer pikanten Causerie und ihrer witzigen Ausfälle. Allerdings trug sie stets stark auf, aber dies gab ihren Erzählungen wie ihrem Umgange etwas ewig Neues und Anziehendes. Alle diese Erwägungen bestimmten mich, sie möglichst zu schonen und ihr nach Kräften aus der Verlegenheit zu helfen, welche sie zu so verächtlichen Hilfsquellen trieb.

Ich fühlte mich nicht wenig erleichtert, als der Thee gebracht wurde, der kleine Albert auf das ersehnte Klirren der Tassen aus dem Nebenzimmer kam und somit dieser cynischen Conversation ein Ende ward. Die Ch. hatte nicht ermangelt, ihr Lieblingsbackwerk, Grumpets und Muffins, zu bestellen, was sie jedesmal that, wenn sie mir ein Compliment[WS 1] machen wollte, erinnerte sich aber nie eher, daß ich dieses geschmacklose Zeug nicht mochte, als bis sie es selbst gespeist hatte. Da saßen wir nun so traulich, daß jeder, der uns gesehen hätte, uns für die zufriedensten Menschen halten mußte. Zwischen uns, etwas rückwärts, brannte ein lustiges Feuer im Camin, Albert saß an der anderen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. im Original Compliliment