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Sie sich, Sie wissen, daß ich Sie zu sehr liebe, als daß ich Ihnen etwas Böses zufügen sollte, ich will ja nur Ihr Glück, und dies vereinigt sich ganz mit unserem gegenseitigen Interesse.“

Mir war, als stäke mein Kopf im Rachen eines Tigers, den es gefährlich zu reizen ist, und ich hielt es deshalb für das Beste, gute Miene zum bösen Spiele zu machen.

Die Ch. fuhr fort: „Glauben Sie denn, daß es Ihnen gelingen wird, unschuldig oder unbescholten zu bleiben, wenn Sie fortfahren, Gouvernante zu sein? Bis daher sind Sie kränklich und schwächlich gewesen, Sie haben den Männern eher Mitleid als Lüsternheit eingeflößt; aber jetzt, wo Sie blühend, von üppigen Formen und anziehend sind, werden Sie dieser nicht entgehen, und Sie werden sich den Wünschen Ihrer Gebieter fügen müssen, wenn Sie sich nicht den abscheulichsten Verfolgungen aussetzen wollen. Ist nun die Ehre eines Frauenzimmers wie geschliffener Stahl, den ein Hauch erblindet, so ist es die einer Gouvernante noch viel mehr, weil jedes Gerücht über sie gleichsam registrirt wird, und wem einmal der Ruf verdorben ist, der kommt nicht wieder auf in diesem Fache. Nur wer Protection hat, ist gegen derartige Stürze gesichert, so wie es eben bei mir der Fall ist. Aber Sie als Fremde haben durchaus keine normale Stellung, weder in moralischer noch in geselliger Beziehung, und der erste beste Feind kann Sie stürzen.“

Ich fühlte, daß in Miß Ch.’s Worten viel Wahrheit lag, und ich empfand vor meiner Lage, der Welt und dem Leben einen solchen Abscheu in diesem traurigen Momente, daß ich bitterlich weinte.

„Glauben Sie denn, fuhr sie fort, ich hätte so viele Freunde, wenn ich mich nicht immer gefällig erwiesen hätte? Wie ich zum Beispiel bei der Baronin v. T. im Haag war, machten mir Vater und Sohn zugleich den Hof, und ich mußte oft einen vor dem andern verstecken. Außer diesen gab ich noch den Attachés der verschiedenen Gesandtschaften auf den Dünen Rendezvous, was allerdings viel Gewandtheit erforderte; aber dafür sind sie auch meine Freunde geblieben und stets bereit, mir mit Wort und That beizustehen. Sie wissen, wie sehr ich den kleinen Albert liebe, denn die gute Pension, die ich für ihn beziehe, trägt viel zu meiner Erhaltung bei; aber auch dieses Glück verdanke ich meiner Verbindlichkeit gegen den jungen Baron v. T., denn Albert ist sein Sohn, und seine Mutter ist die honorable Frau N., berühmte Hofschönheit,