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meinem Entschlusse, nun nicht in ihre Dienste zu treten, baldmöglichst in Kenntniß zu setzen, wie auch Miß M. denselben mitzutheilen, und begab mich daher, nachdem ich meinen kleinen Schützling nach Hause gebracht, sogleich zu Letzterer.

Es ist niemals gut, in wichtigen Dingen rasch zu handeln, wenn man irgend etwas durch die Zeit gewinnen kann. Ich war eben im Begriffe, gegen diesen Satz stark zu verstoßen, als mir der Zufall zu Hilfe kam: ich fand nämlich Miß M. in Gesellschaft, was mich verhinderte, mit ihr über meine Angelegenheit zu sprechen. Während des Nachdenkens gerieth ich auf den Gedanken, daß es besser sei, mit meiner Heirath mehr in’s Klare zu kommen, ehe ich einen Schritt thäte, der mich möglicher Weise mit Miß M. entzweien konnte und mir sicher die Feindschaft der Frau T. zuziehen mußte, wenn ich ihr keine ehrenvolle Ursache meines Rücktrittes angeben konnte.

Als ich nach Hause kam, schrieb ich sogleich an meinen Vater und theilte ihm meine Bekanntschaft mit Herrn v. T., seinen Heirathsantrag und was ich sonst von ihm gehört hatte, haarklein mit, indem ich zunächst um seinen Rath bat. Gegen meine Umgebung schwieg ich vor der Hand und hatte dies auch von Herrn v. T. verlangt. Mein Vater hatte sogleich von allen Seiten Erkundigungen über Herrn v. T. und seine Familienverhältnisse eingezogen, deren Resultat er mir ungesäumt mittheilte. Mehrere hohe Beamte hatten seine Angaben bestätigt, mein Vater stellte mir das Für und Wider einer Heirath vor, überließ aber einen definitiven Entschluß meiner eigenen Erwägung.

Verliebt war ich durchaus nicht in Herrn v. T., aber seine Gemüthsart, sein Geist und sein Betragen convenirten mir, denn für mich hatte die väterliche Protection eines alten, geistig überlegenen Mannes weit mehr Ansprechendes, als die leidenschaftlichen Prätensionen eines Jünglings. Auch wurde von mir die Aussicht keineswegs übersehen, die sich mir jetzt bot, meinen Eltern ein glückliches Alter zu bereiten, und ich entschied mich für die Wünsche meines Anbeters. Herr v. T. nahm meinen Entschluß mit Entzücken auf und setzte sogleich den Tag unserer Verlobung fest. Es wäre freilich am klügsten gewesen, den Tag überhaupt zu verschweigen und die Verlobung im Stillen zu feiern, allein so sehr sie auch Herr v. T. vor seiner Familie zu verheimlichen wünschte, so sehr lag ihm daran, sein Recht auf mich vor jedem andern Menschen geltend zu machen, weshalb er mich überredete, Fräulein Ch.