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etwas anderes war als die germanische Freiheit, deren Vorgänger Arminius sein sollte. Noch deutlicher, daß die hieronymianische Theologie des Erasmus durch eine Welt von der augustinischen Luthers getrennt war. Auch auf der Gegenseite hat das Bewußtsein einer Verschiedenheit, die Gegensatz werden konnte, nicht gefehlt. Hutten wußte auch in den Höhepunkten seiner Begeisterung für Luther, daß seine Absichten menschliche seien, während Luther ganz im Göttlichen schwebe. Er hat in einer seiner letzten Schriften dem ersten Warner, da, wo er seinem Sickingen die neue Lehre auseinandersetzen läßt, das Lutherische ex fide vivere in ein ex conscientia vivere geändert. Erasmus aber traf den Gegensatz, der die ganze humanistische Religiosität von der Religion Luthers trennte, in seinem Kern, als er nach langem Zögern die Schrift ’De libero arbitrio‘ gegen Luther schrieb. Auch wenn er damit nichts weiter erzielt hätte, als daß er Luthers großartige Entgegnung hervorrief, so würde das Zwiegespräch dieser beiden auf so verschiedenen Höhen stehenden Geister doch das klassische Dokument des Verhältnisses von Humanismus und Reformation bleiben. Es würde allein als Beweis dafür genügen, wie töricht die Meinung ist, die Reformation sei aus humanistischen Tendenzen entsprungen.

Dennoch ist jenes Getragenwerden der Reformation durch den Humanismus nicht nur ein äußerlich-politisches gewesen. Der Humanismus hat sich auch die Aufgabe gestellt, das neue Element, das die Reformation in die Welt gebracht hatte, zu formen.

Es gab zwei Punkte, von denen aus das möglich schien. Das eine ist der Rückgriff auf das Urchristentum. Er war schon in Luthers Zusammendrängung alles religiösen Bewußtseins in die Tatsache der Erlösung gegeben. Damit war aber auch eine geistige Lage gegeben, die der urchristlichen ähnelte: ein rein überweltlich gesehener Glaube mußte versuchen, die Welt der Kulturwerte, die er vorfand, von sich aus zu normieren. Es war die Bedeutung der „Renaissance der Wissenschaften“, daß sich diese Kulturwerte auch jetzt wieder für den ganzen Kreis der herrschenden Bildung in den Formen der griechischen Philosophie und des römischen Rechtsgedankens darstellten.

Der zweite Anknüpfungspunkt war das „Bibelerlebnis“ Luthers. In dem Augenblick, wo Luther seine erste Erkenntnis daß die Gerechtigkeit Gottes seine Gnade sei, in dem neuen Verständnis der Römerbriefstelle des Apostels wiederfand, wurde das

Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)