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Sodann, Aventin lebt aus der maximilianischen Zeit hinüber in das Zeitalter des Bauernkrieges und der Religionskämpfe mit ihren großen Enttäuschungen für die Humanitätskultur.

Diese beiden Tatsachen erklären das Bissige und „Raunzende“ in der Kritik Aventins, und die Resignation in seiner Weltanschauung. Aber wir sehen dahinter nun doch die großen Tendenzen der Zeit – ohne sie wäre Aventin überhaupt nicht ein Historiker geworden –, und wir sehen sie in ihrem inneren Zusammenhang um so deutlicher, als sie sich eben in einem Geschichtswerk spiegeln, dessen Hauptkennzeichen ein großartiger moralischer Pragmatismus ist. Denn bei diesem treten sich der romantische Idealismus und die aufklärerische Zeitkritik gleichsam Leib an Leib gegenüber. Beide, wie bekannt, in einer fast grotesken Verzerrung. Und wie seltsam wirkt nun das germanische Pantheon, das Aventin der deutschen Geschichte vorgebaut hat und in dem sich all die großen Gesetzgeber, Helden und Weisen finden, die der völkische Humanismus gesucht hatte, in seiner Beziehung auf eine Gegenwart, in der Tugend und Sittlichkeit fast nur noch bei dem gemeinen Mann zu finden sind. Wie seltsam der Stolz auf die neu aufgeblühten Wissenschaften, durch die die ganze Scholastik zu „Haderei und Spiegelfechten“ geworden ist, gegen die Klage über die Unwissenheit der Geistlichen und Weltlichen, die Aventin überall um sich sieht. Am bemerkenswertesten ist vielleicht der Gegensatz zwischen der erasmischen Friedenstendenz, die durch Aventins ganzes Werk geht – Ninus, der Erfinder der Abgötterei, ist in seiner „Mythologie“ auch der des Eroberungskrieges –, und der naiven Freude an der kriegerischen Kraft der alten Germanen, die er mit sichtbarstem Behagen durch die Geschichte verfolgt. Denn Aventin bringt es weder zu der aufgeklärten Kulturbetrachtung des Beatus Rhenanus, der darin ein echter Schüler des Erasmus ist, noch zu der eingezogenen Selbstigkeit Sebastian Francks, dem die Welt als Gottes Fastnachtspiel nur die Exempla für die Überweltlichkeit des Lebens des inneren Menschen zu liefern hat[1]. Aventin liest seinen Deutschen den Text wie ein Bußprediger und schreibt ihnen doch eine neue Heeresordnung nach dem Muster der römischen vor, wie Machiavell den Florentinern.

  1. Darüber habe ich in den Blättern für deutsche Philosophie Bd. 2 (1928) S. 1 ff. gehandelt.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_048.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)