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viel entsprechender als die Auskunft der deutschen Sprichwörter, die Bebel gefunden hatte. Unzweifelhaft kamen diesen Bestrebungen, den deutschen Geist auch gegenüber dem italienischen selbständig zu machen, auch eigentümliche Anlagen des deutschen Geistes selbst entgegen. Schon bei dem Cusaner steht neben dem theologischen Unendlichkeitsproblem das mathematische. Es wird charakteristisch für den deutschen Humanismus der ersten Periode, daß neben den Poeten die Mathematiker stehen. Mathematik und Geographie werden recht eigentlich deutsche Wissenschaften. Die für den deutschen Geist so bezeichnende Verbindung von phantastischer Spekulation und technischem Denken kündigt sich an. In der geistigen Physiognomie Nürnbergs sehen wir von dieser Verbindung aus einen neuen Begriff der Ordnung sich über Leben und Welt ausbreiten, der selbständig neben der italienischen harmonierenden Symmetrie steht.

Es ist bedauerlich für unsere Vorstellung von dieser romantischen Phase des deutschen Humanismus, aber doch auch wieder ganz erklärlich, daß dieser ganze Reichtum von Ideen doch kein einziges abgeschlossenes Denkmal von letzter Formung hervorgebracht hat. Man wäre versucht als ein solches Aventins Bayerische Chronik zu nennen, wenn nicht hier schon eine spätere Stufe der Entwicklung sich spiegelte, die wir noch zu betrachten haben werden. Und so müssen wir vielleicht die stärkste Verdichtung des romantischen Geistes der aetas Maximilianea in dem Werk eines bildenden Künstlers suchen, in Dürers Melencolia.

Befreien wir uns dabei von den triologischen Anordnungsversuchen, die sie mit dem Hieronymus im Gehäus und dem Ritter, Tod und Teufel zusammenstellen, und sehen wir nur das Blatt als solches an. Dieses mächtige Weib, zunächst nichts weiter als eine schwere deutsche Frauengestalt, die von der Hausarbeit auszuruhen scheint, aber über das Irdische und Tägliche erhoben nicht nur durch die Flügel an den Schultern und den Kranz auf dem Haupte, sondern auch durch den Blick, der suchend ins Unendliche vorzudringen scheint, und durch das wunderliche Gerät um sie herum. Es zeigt, wie wir es auch immer deuten mögen, daß hier nicht ein gewöhnliches Tagwerk geschafft wird, Instrumente des Forschens jedenfalls, als Ganzes verständlich erst durch den Titel des Blattes. Es ist die Melancholie, so wie sie die Florentiner Platoniker verstanden haben, als die Gemütsstimmung der „Saturnischen


Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_030.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)